Judith Butlers Kommentar “Kritikloser Überschwang?” setzt etwas fort, was die Linke schon so lange praktiziert, dass es fast zu einer zweiten Natur geworden ist: sich von Herrschaftsstrukturen zu distanzieren. Kritische Stimmen aus der Linken sind immer die ersten, die sehen, wie wahrscheinlich die Kooptierung, die Neutralisierung radikaler Elemente, die Vereinnahmung von grassroots-förmiger Innovation durch Institutionen, die Missdeutung einer politischen Figur als messianischer Kraft, die drohenden Konflikte und Frustrationen mit früheren Feinden und all die unterschiedlichen Fallstricke der Politik auf massenhafter, nationaler und medialer Ebene bevorstehen. Aber wenn Butler fragt, wohin uns unsere ernsthafte und gefühlsmäßig einträgliche Identifikation (zuerst) mit der Kampagne für Obama und (jetzt vielleicht) mit diesem Präsidenten führt, dann kann ich mir nicht helfen: ich glaube, dass die kritische Linke sich gerade jetzt um einen etwas anderen Fragenzusammenhang kümmern sollte. Nicht dass Butlers Fragen nicht wesentlich wären. Es lässt sich trefflich fragen, ob linke Positionen Gefahr laufen, sich in einer emotionalen Blase fortzubewegen, während eine Massen-Illusion nach dem Motto Obama als Erlösung sich durchsetzt, die Haut aufs äußerste gespannt, im Risiko, mit der ersten großen Enttäuschung zu explodieren. Ich glaube jedoch, diese Frage lässt sich ebenso leicht beantworten. Und zwar mit nein. Wenn die Blase der Einheit/neuen Politik/change/Hoffnung nicht schon vor langer Zeit von Obamas zwei Jahre lang arbeitendem Team gewichtiger außenpolitischer BeraterInnen zum Platzen gebracht wurde, dann in diesen wenigen Tagen seit der Wahl. Im Inneren zerstreut die Ernennung von so vielen früher mit Clinton verbundenen Personen in das Übergangsteam alle Illusionen, und was die äußeren Bedingungen betrifft, tut dasselbe der tägliche Ansturm angekündigter Entlassungswellen und anderer schlimmer ökonomischer Entwicklungen. Wir alle wissen, dass dieser Präsident mit gebundenen Händen und begrenzten Möglichkeiten seinen Job beginnt, egal, was seine Absichten sind. Wenn eine seiner innenpolitischen Initiativen – eine seriöse Gesundheitsreform, große grüne Technologie-Investitionen, nationale Hilfsprogramme, etc. – bald vorangebracht wird, dann wird er sich als politischer Houdini erwiesen haben. Und wenn die sich gerade in Washington entwickelnden Umstände nicht kaltes Wasser ins Gesicht einer hoffnungsvollen Wählerschaft gießen, dann dienten vielleicht die Nachrichten von neuen Selbstmordattentaten mit einer hohen Anzahl von Toten letzte Woche sowohl im Irak als auch in Afghanistan dazu, daran zu erinnern, wie schrecklich und schmutzig diese kommenden Jahre sein werden, überall, und andauernd. Es stimmt, Amerika fühlte sich wie ein neues Land, für einen Tag, vielleicht für zwei. Wer die Realität verleugnete, konnte das Gefühl bis zum Wochenende ausdehnen. Aber zum Zeitpunkt, als Obama sechs Tage nach seiner Wahl den vom Fernsehen übertragenen Gang zum Oval Office mit George W. Bush an seiner Seite antrat, verflüchtigte sich auch der letzte Rest der Erleichterung in jene selbstgefälligen Gefühle, die jedes Erreichen des ersten Platzes begleiten: Ja, da ist er, der Erste Schwarze designierte Präsident. Wie wenn man sagt: Es gibt für alles ein erstes Mal. Kein Messias mehr, keine Euphorie, kein Gefühl der Erlösung. Hat sich die Stimmung sehr verbessert? Wie sollte das nicht der Fall sein beim ersten konkreten Signal des bevorstehenden Abgangs des üblen, katastrophalen, gewalttätigen Bush-Regimes? In Anbetracht der buchstäblich folternden Amtszeit von George W. Bush scheint es durchwegs vernünftig, Obama als – und sich mit Obama als – Agenten der Reinwaschung zu identifizieren, der bereit ist, das Weiße Haus von seinem achtjährigen Aufbau des Abschaums zu befreien. Während Butlers theoretische Analyse dieser Identifikation eindrucksvoll bleibt durch ihre reine, kompromisslose Kritik, dass nämlich solche persönlichen Identifikationen, die zumindest zum Teil Resultate strategisch produzierter Affekte darstellen, grundlegende Funktionen für die Maschinerie des Faschismus ausfüllen, fällt diese Kritik jedoch durch ihr eigenes Beispiel entzwei. Berstend fast vor Liebe zu “jedem und jeder von uns”, verlor Liddy Dole als nachdrücklich geförderte, amtierende und nationale republikanische Persönlichkeit den Sitz im US-Senat, den sie nur sechs Jahre zuvor von dem paläo-konservativen Jesse Helms übernommen hatte, an einen wenig bekannten demokratischen State Senator. Dieses Mal wiesen die WählerInnen von North Carolina die ganze “Liebe” zurück – und zwar mit fast zehn Prozentpunkten. Etwas mehr auf den Punkt gebracht: Ist es in diesem entscheidenden Moment die wichtigste Aufgabe kritischer TheoretikerInnen, Löcher in unseren Optimismus zu bohren, unsere Genugtuung, unsere guten Gefühle? Sogar wenn der Überschwang seinen kurzen Lauf genommen hat und die Frage irrelevant geworden ist, antworte ich immer noch mit nein, nicht als Selbstzweck oder als Voraussetzung für weitere politische Arbeit. Butler führt die Widersprüche der WählerInnen ins Treffen, um uns an die Gründe zu erinnern, nüchtern zu bleiben. Uneinigkeit über gleichgeschlechtliche Ehen und die Rechte der Palästinenser sind nur die zwei am Deutlichsten hervorstechenden Meinungsverschiedenheiten im Inneren der großen Koalition, die Obama gewählt hat. Es gibt auch andere Kluften und Spaltungen. Aber ist das neu? Wenn Butler schreibt, wir sähen uns „neuen Anordnungen der politischen Anschauung gegenüber, die es möglich machen, zugleich offensichtlich widersprüchliche Ansichten zu vertreten: man kann zum Beispiel Obama in gewissen Aspekten nicht zustimmen, und ihn dennoch gewählt haben“, sage ich: Gab es denn irgendwen irgendwo, der Obama in allen Aspekten völlig zugestimmt hätte? Für die aktivistische Linke mag die „neue Anordnung“ darin liegen, dass wir schließlich einen Wahlzyklus lang darüber hinaus gekommen sind, auf Kosten der Effektivität darauf zu insistieren, Recht zu haben. Ich habe kein Problem, einmal in meinem Leben wenigstens belohnt zu werden mit dem Gefühl, das entsteht, wenn man eine aufrührerische Kampagne führt und im großen Stil gewinnt. Kritische linke Stimmen müssen gerade jetzt gehört werden, aber die dringlichste Aufgabe besteht darin, Selbst-Analysen zu betreiben in Bezug auf die Bedingungen des erfolgreichen nationalen Wahlkampfs, der besonders das Modell der grassroots-Organisierung herausgestellt und auf ihm beruht hat. Statt uns bloß an Obamas Schwächen zu gemahnen oder wie Butler die Minimalforderungen der Linken aufzulisten, die erfüllt werden müssen, um “eine dramatische und folgenreiche Desillusionierung” zu vermeiden, besteht die dringende Verantwortung der kritischen Linken gerade jetzt darin, diesen Sieg zu sezieren und praktikable Strategien auszuarbeiten, um ein progressives Programm durchzusetzen, das auch intra-koalitionäre Kampagnen enthält. Damit geht einher, uns wieder ins Gedächtnis zu rufen, welche Form von dickhäutiger Arbeit uns die Freude der Wahlnacht gebracht hat, und, gleich wichtig, zu untersuchen, wie die reaktionären Kräfte wahrscheinlich auf die neue Administration reagieren werden. Wenn wir, die wir Obama unterstützt haben, alle ein bisschen von dem geschluckt haben, was man uns vorgesetzt hat, so hat die Kampagne ihrerseits die ganze Palette verschlungen. Die grassroots sind nun herausgekommen, Freiwillige zu Tausenden, ausgebildet und gut ausgestattet – man könnte sogar sagen, man hat sich an sie gewöhnt – und je mehr die TheoretikerInnen unter uns an den strategischen Aufgaben der fortgesetzten Organisierung teilnehmen, und zwar auf Basis der Gegebenheiten aktivistischer Arbeit und der Erkenntnisse aus dem eben gewonnenen Wahlkampf, desto mehr wird das grassroots-Element sich entwickeln und reifen. Idealerweise werden mit Obama identifizierte grassroots-Wahlkreise und -Belegschaften herauswachsen aus der Steuerbarkeit durch Obama, und sie werden das Potenzial haben, ihn zu überdauern. Ein Bestandteil der Träume von Progressiven war es immer, Bewegungen aufzubauen, die Einfluss haben auf nationale PolitikerInnen, und jetzt haben wir die Chance. Obwohl ich mit Butler übereinstimme, dass viele von uns „Bedenken ‚beiseite gestellt’ [haben], um die extreme Nicht-Ambivalenz des Moments zu genießen“, glaube ich also, dass ihre Bedenken in Bezug auf den Mangel an Kritik im Überschwang, wenn auch nicht notwendigerweise übertrieben, so doch einigermaßen deplatziert sind. Wenn die von uns, die sich für die Rechte der Homosexuellen oder jene der Palästinenser einsetzen oder für eine andere progressive Sache, die gegen die liberale Orthodoxie der demokratischen Partei steht und/oder gegen die Moderation durch Obama selbst, die schwierige und mühsame Arbeit aufnehmen, unsere Gegenüber/einmaligen KoalitionspartnerInnen (und ihre WählerInnen auf ihren Türschwellen, in ihrer Nachbarschaft, anstatt in unseren Blogs) zu bearbeiten, uns umsehen nach jenen Individuen (“jede und jeder von uns” in der grassroots-Organisierung), die gerade zu überzeugen sind, aber aus irgendwelchen Gründen ins andere Lager gefallen sind, wird jeder Nachklang guten Gefühls über den Wahlsieg sehr weit entfernt scheinen. Aber wenn wir uns zeigen und die Arbeit erledigen, werden zukünftige Siege für Progressive in jenen Gegenden wenigstens möglich sein. Ob, warum und wie wir auftauchen und diese Arbeit erledigen sollten, das sind die Fragen, die wir durchdenken müssen. Butler hat Recht, wenn sie jenen Raum einer „kritischen Politik“ als Bewegung zwischen Illusion und Zynismus identifiziert. Die Ausweitung dieses Raums hängt ab von unserer fortgesetzten politischen Arbeit, das heißt von der kontinuierlichen Hervorbringung konkreter Auseinandersetzungen, deren Analyse die Gefühle auch automatisch in einen engeren Rahmen zwängen wird. Aber sie würde das auch tun, ohne sich der Krücke zuzuwenden, die darin besteht, Obamas bevorstehende Handlungen und Nicht-Handlungen nach dem Standard-Moralismus der Linken zu messen. Und wir tun unsere Arbeit, um zu gewinnen, genau um dieses Gefühl wieder zu fühlen. |