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02 2009
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MANIFEST DES POST-FUTURISMUS

Übersetzung: Gerald Raunig

Franco Berardi aka Bifo

Franco Berardi aka Bifo

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Gerald Raunig (translation)

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Vor hundert Jahren veröffentlichte Filippo Tommaso Marinetti auf der ersten Seite von Le Figaro jenes Manifest, welches im ästhetischen Bewusstsein der Welt das Jahrhundert des Glaubens an die Zukunft eröffnete. Mit dem Manifest von 1909 begann der rasche Prozess des Maschine-Werdens des kollektiven menschlichen Organismus. Dieses Maschine-Werden ist mit den Verkettungen des globalen Netzes zu seinem Abschluss gekommen, es schlägt heute um, nach dem Kollaps des Finanzsystems, das auf der Futurisierung der Ökonomie, auf den Schulden und auf dem ökonomischen Versprechen aufbaute. Jenes Versprechen ist vorbei. Es beginnt die Epoche, die auf die Zukunft folgt.


MANIFEST DES POST-FUTURISMUS

  1. Wir wollen singen von einer gefährlichen Liebe, von der täglichen Erschaffung einer süßen Energie, die sich nie verliert.
  2. Die Ironie, die Sanftheit und die Rebellion werden Grundelemente unsrer Poesie sein.
  3. Bis heute haben Ideologie und Werbung die andauernde Mobilisierung der produktiven und nervösen Energien der Menschheit in Richtung Profit und Krieg gepriesen. Wir wollen die Sanftheit, den Schlaf und die Ekstase preisen, die Schlichtheit der Bedürfnisse und die Lust der Sinne.
  4. Wir erklären, dass der Glanz der Welt durch eine neue Schönheit bereichert wurde: die Schönheit der Autonomie. Jeder Mensch hat seinen eigenen Rhythmus, und niemand darf genötigt werden, sich in gleichförmiger Geschwindigkeit fortzubewegen. Autos haben den Reiz der Seltenheit verloren und können vor allem nicht länger die Aufgabe erfüllen, für die sie vorgesehen waren. Die Geschwindigkeit ist langsam geworden. Autos sind unbeweglich wie dumme Schildkröten im Stadtverkehr. Nur die Langsamkeit ist schnell.
  5. Wir wollen die Menschen besingen, die einander umarmen, um einander besser zu verstehen, um die Welt besser zu verstehen.
  6. Die DichterIn muss sich mit verschwenderischem Feuer darauf verlegen, die Macht der kollektiven Intelligenz zu vermehren und die Zeit der abhängigen Arbeit zu verringern.
  7. Schönheit existiert nur in Autonomie. Ein Werk, das die Intelligenz des Möglichen nicht auszudrücken vermag, kann kein Meisterwerk sein. Poesie ist eine Brücke über den Abgrund des Nichts, die es erlaubt, unterschiedliche Vorstellungen zu teilen und die Singularitäten zu befreien.
  8. Wir sind am äußersten Kap der Jahrhunderte. Wir müssen unbedingt zurückschauen, um den Abgrund der Gewalt und des Horrors zu erinnern, die durch militärische Aggressivität und nationalistische Ignoranz jeden Moment heraufbeschworen werden können. Wir haben zu lange in der Religion der gleichförmigen Zeit gelebt. Doch wir haben die ewige, allgegenwärtige Geschwindigkeit hinter uns gelassen, im Internet, also können wir sie nun vergessen, um unseren singulären Rhythmus zu finden.
  9. Wir wollen uns lustig machen über die Idioten, die den Diskurs des Krieges verbreiten: die Fanatiker des Wettbewerbs, die Fanatiker des bärtigen Gotts, der zum Massaker aufhetzt, die Fanatiker, die die entwaffnende Queerness fürchten, die in uns allen gedeiht.
  10. Wir wollen aus der Kunst eine lebensverändernde Kraft machen, wir wollen die Trennung von Poesie und Massenkommunikation abschaffen, wir wollen die Herrschaft über die Medien von den Managern zurückfordern und sie den Weisen und den Poeten übergeben.
  11. Wir werden singen von den Scharen, die sich schließlich befreien werden von der Sklaverei der abhängigen Arbeit, wir werden singen von der Solidarität und der Revolte gegen die Ausbeutung. Wir werden singen vom unendlichen Netz des Wissens und der Erfindungskraft, der immateriellen Technologie, die uns von körperlicher Mühsal befreit. Wir werden singen vom rebellischen Kognitariat, das mit seinem Körper in Austausch steht. Wir werden singen von der Unendlichkeit der Gegenwart, in der wir keine Zukunft mehr brauchen.