Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben sich seit Anfang der 2000er Jahre auf die Regime südlich des Mittelmeers verlassen, um die Externalisierung ihrer Asyl- und Migrationspolitik zu betreiben. Ihre Reaktionen auf die populären Revolten in Nordafrika und im Mittleren Osten machen deutlich, dass die „Verteidigung der Demokratie“ und die „Nichteinmischung“ bloße Rhetorik sind, wenn es darum geht, die Imperative einer Grenzschließung zu behaupten, welche die Grundrechte verletzt. Während libysche Armeekräfte die Aufständischen im ganzen Land niedermetzeln, weckt Oberst Gaddafi das Gespenst einer Invasion von MigrantInnen, indem er mit dem Ende jeglicher „Zusammenarbeit im Bereich des Kampfs gegen irreguläre Migration“ droht, sollte die Europäische Union mit der „Ermutigung“ der populären Demonstrationen fortfahren. Diese wiederum lässt durch die Stimme ihrer Hohen Vertreterin für äußere Angelegenheiten, Catherine Ashton, verkünden, dass sie nicht erpressbar sei[1], wo doch die europäischen Institutionen noch vor weniger als einer Woche ihre Verhandlungen über eine libysche Beteiligung an der Abschottung des Mittelmeerraums fortsetzten. Die Tausenden von MigrantInnen, die nach dem Sturz der Diktatur in Tunesien auf der Insel Lampedusa in Italien strandeten, wurden tatsächlich als eine Bedrohung dargestellt, gegen die sich die Union mittels einer Mobilisierung ihrer Alliierten in Nordafrika verteidigen müsse. Die „Festung Mittelmeer“ müsse verteidigt werden, und zwar ungeachtet der Bestrebungen der Bevölkerungen sowie der Prinzipien (Freiheit, Demokratie, Menschenrechte etc.), die gleichwohl als Grundlage der Europäischen Union präsentiert werden. Während sich die DemonstrantInnen in Nordafrika und im Mittleren Osten gegen die Polizeimacht zur Wehr setzen, antworten die europäischen Staaten mit Sicherheitsmaßnahmen. Die EU verspricht insbesondere eine Freigabe von Geldern, um Tunesien dabei zu unterstützen, seine Grenzen zu kontrollieren und seine Staatsangehörigen daran zu hindern, von ihrem „Recht, jedes Land, einschließlich des eigenen, zu verlassen“ (Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte), Gebrauch zu machen. Im Gegenzug verlangen die EU und ihre Mitgliedstaaten, dass die neuen Regime die von den Diktaturen unterzeichneten und grundrechtswidrigen Übereinkünfte und Kooperationen übernehmen. Genau diese Politik eines Kriegs gegen die MigrantInnen hat dazu geführt, dass tausende Menschen, die den Patrouillen und anderen Militäreinrichtungen zu entwischen versuchten, im Mittelmeer starben, während zehntausende weitere Menschen in Lagern in Algerien, Ägypten, Libyen, Tunesien etc. eingesperrt wurden. Diese Politik hat sich dermaßen ins diplomatische Herz der EU eingegraben, dass mehrere ihrer Mitgliedstaaten angesichts des Zusammenbruchs jener Regime, die sie seit Jahren mit Waffen ausstatten, den Kopf verloren haben.[2] Heute werden diese Waffen gegen die für ihre Freiheiten kämpfende libysche Bevölkerung zum Einsatz gebracht. Während alle Mitgliedstaaten versucht sind, sich mit der italienischen Position zu verbünden und sich „nicht in den aktuellen Transitionsprozess in der arabischen Welt, insbesondere in Libyen“, einzumischen, muss dringend daran erinnert werden, dass die EU vor einer historischen Situation steht. Sie darf keine Regime unterstützen, deren Verletzungen der Rechte ihrer Bevölkerungen durch ihren Einsatz als Gendarmerie Europas noch verstärkt werden. Nur eine radikale Neuorientierung der Migrationspolitiken der Europäischen Union würde es erlauben, in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und ihren Nachbarn am Mittelmeer eine neue Ära einzuläuten, die durch weniger Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und Rechtsverletzungen geprägt ist. Pressekontakt: contact@migreurop.org
[2] Frankreich und Großbritannien verkündeten die Einstellung der Lieferungen von Sicherheitsausrüstung, was ein neuerlicher Beweis dafür ist, dass Libyen von zahlreichen Staaten der Europäischen Union unterstützt wird, und zwar insbesondere im Namen des Kampf gegen die illegale Migration (Agenturmeldung der AFP vom 18. Februar 2011). |