"Anticipating European Cultural Policies", das europakulturpolitische Papier von Therese Kaufmann und Gerald Raunig verbindet zwei Problematiken aktueller europäischer Politik: einerseits das Fehlen klarer und effektiver Aktionen und Programme im Bereich der Kultur auf EU-Ebene, andererseits einen tief verwurzelten Mangel an Demokratie im Funktionieren der europäischen Institutionen. Auch stehen die Zeichen nicht zum besten, dass der derzeit tagende Europäische Konvent auch nur eines dieser Defizite verbessern würde. Doch müsste gerade das geschehen, wenn die EU aus diesem komplexen Prozess einer 'Generalüberholung' als mehr hervorgehen soll denn als reines Mehrstaaten-Arrangement und als vereinheitlichter Markt, und wenn die EU sich weiter als Projekt ihrer BürgerInnen entwickeln soll. Insofern bleibt die EU ohne Sinn, wenn von ihr nicht eine starke kulturelle Dimension ausgeht. Diese Dimension muss das gemeinsame kulturelle Erbe als konfliktuelle Erinnerung von Gruppen und Einzelnen ebenso umfassen wie die gemeinsamen, wiederum einander widersprechenden und konflikthaften Aspirationen für die Zukunft. Mehr als alles andere könnte das kulturelle Feld Europa als gemeinsames Proekt vermitteln sowie das Gefühl, Teil einer politischen Organisation zu sein, die auf einigen gemeinsamen Werten basiert, die von kulturellen und kreativen Prozessen inspiriert, weiterentwickelt und provoziert werden, und an denen ExpertInnen, KünstlerInnen und Öffentlichkeiten aus den verschiedensten Ecken Europas beteiligt sind. Es sind kulturelle Aktivitäten - unterstützt durch EU-Programme und Maßnahmen - die den EuropäerInnen ein Verständnis von der breiten Vielfalt geben, die aber auch die gemeinsamen Anliegen, Vorhaben und Standpunkte unterstützen. Kulturelle Produktion und deren Verbreitung - mit der Unterstützung Brüssels ergänzend zu jener auf anderen staatlichen Ebenen - eröffnen eine Möglichkeit, gegen die Ignoranz der EuropäerInnen gegenüber einander und gegen ihre Vorurteile und Stereotypen anzukämpfen. Eine politische Gemeinschaft verlangt darüber hinaus die Beteiligung ihrer BürgerInnen an ihrer Entwicklung und am Funktionieren ihrer Institutionen. Derzeit aber, und vielleicht auch in Zukunft, sind Organisation, Kompetenzverteilung und die täglichen politischen Aktivitäten vor allem von den Bestrebungen der nationalen Regierungen bestimmt und ihrem Handel untereinander, wenn es darum geht, Konsens zu erzielen oder qualifizierte Mehrheiten. Groß und Klein, Nord und Süd, alte und neue Mitgliedstaaten spielen dieses Spiel mit wechselnden Loyalitäten. Mit 25 Mitgliedstaaten wird ein Konsens in der EU nur in den allgemeinsten und damit auch trivialsten Situationen möglich sein. Qualifizierte Mehrheit wird daher als Entscheidungsmethode vorrangig sein, aber auch eine stärkere Rolle des Parlaments im Verhältnis zur Kommission und zum Rat würde die EU als ein System der repräsentativen Demokratie an Glaubwürdigkeit gewinnen lassen. Die Beteiligung der Menschen an allen Entscheidungsprozessen der Kommission sowie im Rat und dem EP muss in einem ganz anderen Ausmaß geltend gemacht werden, als das von den derzeitigen verschiedenen Brüssel-orientierten Lobbies und bisher eher marginalisierten Körperschaften wie dem Wirtschafts- und Sozialausschuss oder dem Komitee der Regionen erwartet werden kann. Diese zwei Kämpfe müssen fest verknüpft werden: der Einsatz für ein Investieren in die EU als Gemeinschaft über Kulturprogramme und -aktivitäten und der Kampf für ein demokratischeres Handeln der europäischen Institutionen. Die diesem Ansatz inhärente Schwierigkeit ist aber, dass dies sowohl von den nationalen Regierungen als auch von der Brüsseler Bürokratie abgelehnt wird. Während erstere die Kultur als eines der wenigen ihnen verbliebenen Vorrechte und die EU als eine Geschäftemacherei untereinander ansehen, nützt letztere den Widerstand der nationalen Regierungen dagegen, Terrain abzugeben, als Entschuldigung für Passivität und minimales Engagement. Sie beschwichtigt sowohl Mitgliedstaaten als auch Parlament durch geringe Aktivität und indem die Bedürfnisse und Bestrebungen aus dem kulturellen Feld als zu schwierig und komplex abqualifiziert werden. Trotz aller rhetorischen Bekenntnisse zum Begriff der kulturellen Diversität in einer Vielzahl von EU-Dokumenten wird VertreterInnen des kulturellen Feldes in Brüssel oft vorgeworfen, mit zu divergierenden Stimmen zu sprechen, zu unterschiedliche Interessen und Prioritäten zu vertreten und damit angeblich den Effekt auf die EntscheidungsträgerInnen zu verfehlen. Dieser Vorwurf aber sieht an der Tatsache vorbei, dass das kulturelle Feld divergent und pluralistisch bleiben muss, wenn es eine entscheidende Rolle in der zivilgesellschaftlichen Entwicklung in Europa spielen soll. Bemühungen, die Ziele, Bedürfnisse und Prioritäten kultureller Felder in Europa einander anzupassen, zu ordnen, zu reduzieren oder zu vereinheitlichen, würden diese ersticken. Abgesehen davon haben die im kulturellen Feld Tätigen keinerlei Problem damit, ihre Forderungen in Bezug auf EU-Programme zu definieren: - Unterstützung des Informationsflusses, von Training und Mobilität, von Reflexion und Diskussion über die Funktionen des kulturellen Feldes in Europa in Relation zu den Herausforderungen der Migration ebenso wie zum Druck der ökonomischen Globalisierung und den Angriffen der 'cultural industries'; Investition in Netzwerke als grundlegende Infrastruktur internationaler Kooperation im kulturellen Feld - Unterstützung komplexer, mittelfristiger, multilateraler Kooperationsprojekte und ihrer Verbreitung in Europa zur Entwicklung der interkulturellen Kompetenz der AkteurInnen ebenso wie der entsprechenden Öffentlichkeiten - Unterstützung für kulturelle Kooperation mit den Nachbarstaaten der EU, ihren kulturellen AkteurInnen und ‚Publiken' als bester Weg zu Vertrauensbildung und eine Kultur des Friedens anstelle von Konfrontation, Ausschluss und politischer, kultureller und ökonomischer Unterdrückung Diese ziemlich einfache kulturpolitische Agenda für die EU kann nur gestärkt werden und sich durchsetzen im Verein mit dem politischen und zivilen Einsatz für eine Demokratisierung der EU. Während die Entscheidung des Rates, die institutionelle Organisation und die Kompetenzverteilung in der EU durch den Prozess des europäischen Konvents zu ‚überholen', ursprünglich Hoffnungen für eine ernsthafte Entwicklung in dieser Richtung wach werden ließ, geben die Verfahren im Konvent bisher wenig Anlass zu glauben, dass die gewählte Form der Auseinandersetzung einen substantiellen demokratischen Durchbruch zulässt. Bis zur Präsentation des ersten Verfassungsentwurfs
in einigen Wochen und in den folgenden Monaten, bis der Konvent
seine Arbeit im Sommer vollendet haben wird, haben die zivilen
und kulturellen Kräfte in Europa eine letzte wirkliche
Chance, ihre Anliegen zu formulieren und sie hörbar zu
machen. Insbesondere für die AkteurInnen des kulturellen
Feldes ist das eine Gelegenheit, das Interesse der Öffentlichkeiten
für kulturelle Aktion zu gewinnen und das Risiko des
Vorwurfs von Elitismus oder Brüssel-orientiertem Parasitismus
zu überwinden, indem sie betonen, dass die Verbindung
Kultur - Demokratie ein Tool für alle darstellt, um gegen
das Diktat zu kämpfen, - sei es jenes einer abgehobenen
Brüsseler Bürokratie oder sei es jenes wirtschaftlicher
Konglomerate. |