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03 2003

Das unendlich Kleine. Diskurse über Kunst im öffentlichen Raum

André Rottmann

Am Anfang der Diskurse über Kunst im öffentlichen Raum steht die sogenannte 'drop sculpture'. Arbeiten wie zum Beispiel Alexander Calders Plastik für das Generalkonsulat der USA in Frankfurt am Main mit dem Titel Hextopus von 1955 wurden auf städtische Plätze gesetzt und standen als selbstbezügliche, Autonomie reklamierende Objekte noch in der Traditionslinie des Modernismus. In den 1960ern entwickelt sich dann eine Praxisform, die in Abgrenzung hierzu, den Ort der Aufstellung in die Konzeption und in die Ausführung der Skulptur einbezieht und sie als kritische Intervention versteht.

Richard Serra ist der prominenteste Vertreter dieser Form von Skulptur im öffentlichen Raum. Man könnte fast sagen, daß Serra inzwischen fast ein eigenes Paradigma innerhalb der Auseinandersetzung um und mit Kunst im öffentlichen Raum bildet. Für den Diskurs um seine Arbeiten geben kritische Theorie und Phänomenologie die wichtigsten theoretischen Bezüge ab. Diese kanonische künstlerische und diskursive Position bildet deshalb den Ausgangspunkt meiner Überlegungen, weil sich in ihr die für die gesamte Diskussion um public art zentralen Kategorien des Ortes und der Öffentlichkeit in ihrer ersten Formulierung analysieren lassen.

In bezug auf seinen 1981 auf der Federal Plaza in New York erricheteten Tilted Arc führt Serra aus:

"Das Spezifische an standortbezogenen Arbeiten ergibt sich daraus, dass sie für einen Platz konzipiert werden, von ihm abhängig und untrennbar mit ihm verbunden sind. [...] Standortbezogene Arbeiten verhalten sich ausnahmslos wertend zu dem umfassenderen sozialen und politischen Zusammenhang, dessen Bestandteil sie sind."[1]

Diese Bestimmung von Ortsbezogenheit resultiert aus einem anti-modernistischen Impuls, in dessen Folge zu einem die Untrennbarkeit der Arbeit von dem Ort ihrer Installation gegen den Status des idealistischen Kunstwerks wie eben Calders Hextopus als universal, autonom und somit als Warenobjekt zirkulierbar gesetzt wird. Zum anderen konterkariert der sozio-politisch markierte öffentliche Raum die postulierte Reinheit des white cube des Ausstellungsraums des Museums oder der Galerie. Damit ist ebenso die vom Modernismus propagierte Autonomie der ästhetischen Erfahrung hinterfragt. Clement Greenberg und in seiner Folge Michael Fried hatten diese Erfahrung unter dem Begriff der Optikalität als idealiter entkörperlichte, zeitlich-räumliche Koordinaten transzendierende Wahrnehmung entworfen. In Oppositon hierzu liegt Serras Arbeiten, wie bekanntermaßen denen einer Reihe von Künstlern in den Sechziger Jahren, das phänomenologische Modell einer nach Merleau-Ponty als 'leiblich' konzeptualisierten Wahrnehmung zugrunde, welches das Sehen eines Objekts als die physische Beziehung zu diesem definiert. Zeit und Raum werden hierbei als sich gegenseitig bedingende Funktionen auffaßt.

Von Serra wird der Ort, den der verkörperlichte Betrachter einer seiner Arbeiten durchquert, als ein von der abstrakten Skulptur aus unbehandeltem Stahl in Besitz genommener entworfen. Die Wahrnehmung dieses Ortes soll durch die Arbeit entsprechend umstrukturiert werden. Die Spezifizität dieses Verhältnisses zwischen Skulptur und Ort liegt in der Bezugnahme ihrer Form, Größe und Position auf die gegebenen räumlichen Bedingungen des Platzes und den ihn umgebenden, zumeist urbanen Raum.

Die Planzeichnungen zu Tilted Arc verdeutlichen den in dieser Konzeption implizierten Begriff eines Ortes, der primär als buchstäblich physisch lokalisierbar und topographisch erfaßbar gedacht wird. Serra betont immer wieder, daß die Materialität seiner Skulpturen und die zeitliche Dauer, die ihre Erfahrung  abverlangt, gegen eine potentielle Bildhaftigkeit und damit leichte Konsumierbarkeit von Skulptur operieren sollen. Ermöglichte ein bestimmtes Figur/Grund-Verhältnis es, die Plastik als zweidimensionales Bild wahrzunehmen, so wäre eine Unmittelbarkeit des Sehens ermöglicht, das der Logik des Konsums entspräche und nicht mehr der von ihm angestrebten differenzierten Erfahrung materieller Realität.

Es ist gerade dieser angestrebte Erfahrungsmodus, der Serras Arbeiten in dem kunstkritischen und kunsthistorischen Diskurs um Kunst im öffentlichen Raum sein kritisches Potential zukommen läßt. Jürgen Habermas' These vom Verfall der Öffentlichkeit und ihre Beschreibung als zerfallene Raumreste steckt dabei dessen kritisch-begrifflichen Horizont ab. 1962 entwickelte Habermas ein Konzept der bürgerlichen Öffentlichkeit, die er als einen durch Institutionen und formal etablierte Normen der sozialen Interaktion strukturierten kommunikativen Raum beschrieb, in dem private Bedürfnisse und öffentliche Notwendigkeiten politisch, juristisch und kulturell vermittelt werden. Ihrer eigenen Idee zufolge ist die Herrschaft der klassischen liberalen Öffentlichkeit diejenige Gesellschaftordnung, in der sich Herrschaft überhaupt auflöst[2] und in der sich, gesichert durch den freien Wettbewerb des frühen Konkurrenzkapitalismus, eine durch ungehinderten Zugang des Publikums gekennzeichnete Sphäre des literarischen, wahrheitsorientierten Räsonnement herausbilden kann. Dieses Modell der Öffentlichkeit ist zum Zeitpunkt seiner Konzeptualisierung durch den als Strukturwandel betitelten Verfallsprozess bereits des längeren obsolet. Unter den Bedingungen einer nunmehr ökonomisch und massenmedial "vermachteten Öffentlichkeit"[3] trete das kulturkonsumierende an die Stelle des kulturräsonnierenden Publikums und der "Zusammenhang öffentlicher Kommunikation zerfällt in die wie immer gleichförmig geprägten Akte vereinzelter Rezeption."[4] Das Konzept einer bürgerlichen Öffentlichkeit wird in enger Verbindung mit ihrem Verfall in der Nachkriegs-Konsumgesellschaft bestimmt. Als intakte historische Kategorie kann sie nur im Moment ihrer Auflösung rekonstruiert werden, wodurch wiederum ihre Form am Anfang der 60er nur noch als bloße "Zerfallsgestalt der bürgerlichen Öffentlichkeit"[5] zu begreifen sei. Diesem Öffentlichkeitskeitbegriff folgt das Postulat der Erfahrungsarmut, bezüglich derer Serras skulpturale Phänomenologie zum Beispiel für Benjamin Buchloh ein ansonsten unzugängliches Erfahrungsmodell aufruft: "Gerade diese Differenzierung der Erfahrung ist es, die im sogenannten öffentlichen Raum systematisch zerstört wird."[6] Der ehedem kommunikative Raum der Öffentlichkeit ist, so das Argumentationsschema dieses ersten von mir diskutierten Diskurses, unter dem zunehmenden Systemzwang der Konsumsphäre und der allgemeinen Verwaltung längst im Bartheschen Sinn mythisch, d.h. zu einem sekundären semiologischen System naturalisierter ideologischer Bedeutung geworden. Der Warenfetisch wird als die einzig noch verbleibende universal gültige Form der Objekterfahrung, auch der des skulpturalen Objekts, gesetzt, mit der die Depolitisierung der individuellen Existenz und der Privatsphäre einhergehe. Diese wiederum wird als der von ökonomischen Zwängen unberührte Bereich und damit als ehemalige Grundlage der Möglichkeit kollektiver sozialer Interaktion imaginiert. Gleichzeitig soll diese gesellschaftliche Enklave der Garant einer Subjektivität gewesen sein über die der Prozess der Verdinglichung noch nicht gesiegt hatte. Privatisierung von Subjektivität und Fetischisierung von Objekterfahrung werden als korrelierende Größen gedacht, die die Sphäre der Öffentlichkeit als eine sich in Auflösung begriffene Kategorie konstituieren und nur als bloße Raumreste beschreibbar sein lassen. Es drängt sich an dieser Stelle folgende Frage auf: Inwieweit geht diese Bestimmung von Öffentlichkeit ex negativo tatsächlich von einer historisch vorgängigen Existenz subjektiver Integrität, unsanktionierter Diskursfreiheit und nicht entfremdeter, von Warenförmigkeit untangierter Objekterfahrung aus? Oder aber: Inwieweit könnte diese Vorgängigkeit vielmehr das utopisches Desiderat eines Diskurses sein, der die zeitgenösssiche politisch-ökonomische Verfaßtheit von Öffentlichkeit und daraus eventuell resultierende Handlungsmöglichkeiten zu bestimmen sucht? Wie immer diese Frage zu beantworten ist, künstlerischer Praxis wird in diesem Diskurs eine exemplarische Rolle zugeschrieben, weil sie analog zur bürgerlichen Öffentlichkeit als ebenfalls von der modernen Fragmentierung und Entfremdung durch massenmediale und kommerziell-ökonomische Vermachtung betroffen und von ihrem eigenen Verfall bedroht sei. Gesellschaftliche Prozesse spiegeln sich in der Kunst nicht bloß wider, wie zum Beispiel die Desintegration traditioneller Subjektivität in der Auflösung der traditionellen anthropomorphen Formensprache der modernen Plastik. Vielmehr hebe Kunst selbst diese, man könnte sagen entsprechend der Hegelschen Doppelheit des Begriffs als Tilgung und Bewahrung, auf. So kann Buchloh in bezug auf eine Skulptur Barnett Newmans zu dem Schluß kommen, daß diese in der "radikale[n] Verneinung der traditionellen Skulptur nicht nur deren Darstellungskonventionen aufhebt, sondern diese auch rettet."[7] Das kritische Potential von Serras öffentlicher Skulptur liegt folglich nicht in der Schaffung einer Insel des Erfahrungsreichtums in binärer Opposition zum status quo, sondern in der dialektischen Artikulation des Mangels an Öffentlichkeit und der Zeichenhaftigkeit von Subjektivität in der 'vermachteten' Öffentlichkeit sowie der Kenntlichmachung der tatsächlichen Bestimmung eines Ortes als politische. Es ist paradoxerweise die Skulptur, die in ihrer anti-modernistischen Formulierung den Verlust genau derjenigen Erfahrungsform aufzeigen und diese gleichzeitig potentiell aufrechterhalten soll, auf die ihre traditionale Rezeption gründete. Skulptur wird begriffen als die Demarkation der Grenze an der sich, wenn überhaupt noch, Öffentlichkeit und Objekterfahrung vermitteln lassen.[8]

Am 15. März 1989 fiel Tilted Arc buchstäblich der Unzugänglichkeit des in ihm entworfenen Erfahrungsmodells und dessen Provokationspotential zum Opfer. Die durch einen Verwaltungsrichter, der sein Büro an der Federal Plaza hatte, iniitierte mehrjährige Debatte, die schließlich zu diesem Abriß führte und in der sich der öffentliche Raum als einer paranoider Projektionen und staatlicher Überwachungsansprüche zeigte, kann hier nicht wiedergegeben werden. Es seien jedoch zwei Punkte herausgegriffen: zum einen wurde in einem von Serra geführten Prozeß um sein Urheberrecht an der Arbeit vom damaligen Staatsanwalt Rudolph Giuliani erfolgreich die Meinung vertreten, daß die staatliche General Services Administration mit der Kommission des Arcs und dessen Finanzierung die alleinigen Besitzrechte an ihm erworben habe und es ihr allein obliege über den weiteren Umgang mit ihrem Eigentum zu entscheiden. Die vom offensivem Kulturpessismus des ersten Diskurses festgestellte Zerstörung von Modellen der Erfahrungsdifferenzierung und die Dominanz der Warenkategorie im öffentlichen Raum wird hier eindrucksvoller bestätigt als man es in dieser Offenheit befürchtet hätte. Zum anderen wies der zuständige Richter Serras Vorwurf der Zensur mit der Begründung zurück, die abstrakte Skulptur habe als solche keinen Inhalt und deshalb sei ihre Entfernung nicht als Unterdrückung der Meinungsfreiheit anzusehen.[9] Diese letzte Entscheidung verweist auf die Problematik des phänomenologischen Interventionsmodells wie es in Serras Arbeiten formuliert wird. Sein Ortsbezug ist eher als Standortbezogenheit denn als Ortsspezifität adäquat definiert. Der Ort der Skulptur wird zwar nicht als neutraler gesetzt, jedoch ebensowenig in bezug auf seine spezifischen politischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen hin analysiert. Kritische Auseinandersetzung mit einem Ort findet so auf einer "abstrakt-sensorischen"[10] Ebene statt. Rosalind Krauss hat dementsprechend gefolgert, daß site-specificity bei Serra eher Medium der körperlichen Bewegung des Betrachters denn inhaltliche Bestimmung sei.[11] Das abstrakte Formenvokabular von Serras Skulpturen tendiert dazu, den städtischen öffentlichen Raum nur als monolithischen addressieren zu können und nicht als einen von Partikularinteressen durchzogenen und umkämpften.

In bezug auf sein Öffentlichkeitskonzept stellt Habermas in seinem Vorwort zur 1990er Neuauflage des Strukturwandel-Buches selbstkritisch fest, eine "holisitische Vorstellung eines gesellschaftlichen Ganzen"[12] entworfen zu haben, die inzwischen nicht zuletzt durch die Entwicklung elektronischer Medien überkommen sei. Mit Verweis auf eine Studie mit dem Titel "No Sense of Place" führt er aus:

"Der Titel [...] steht für die Behauptung, daß jene Strukturen zerfließen, in denen die vergesellschafteten Individuen bisher ihre sozialen Standorte wahrgenommen und sich selbst lokalisiert haben. Diesmal geraten sogar die sozialen Grenzen in Bewegung, die die elementaren lebensweltlichen Koordinaten des Raumes und der historischen Zeit gebildet haben."[13]

Für die 90er Jahre wird hier von Habermas eine paradigmatische Restruktierung des Öffentlichen angedeutet. Angelehnt an Computertechnologie werden die Begriffe des Zerfließens, des Mobilisierens und der Entgrenzung unmittelbar auf das individuelle und soziale Verhältnis zum Ort bezogen und damit Auswirklungen dieses veränderten Verhältnis auf die Definition dieses Ortes selbst angenommen. Im kunstkritischen Diskurs und in der Kunst im öffentlichen Raum der 90er wird tatsächlich der den Skulpturen Serras zugrundeliegende topographische Ortsbegriff abgelöst durch den eines 'funktionalen Ortes', der im Rahmen von ortsspezifischer Kunst konsequenterweise ein ebenso neues 'Werk'-Konzept beeinhaltet.  Dieser Diskurs zeichnet sich vor allem darin aus, seine Begriffe unter dem Einfluß poststrukturalistischer Theoriebildung auszuweiten. Ich will dies am Ortsbegriff exemplarisch nachvollziehen. James Meyer hat den neuen Ort der public art und das aus ihm resultierende 'Werk' in einem programmatischen Text aus dem Jahre 1995 wie folgt beschrieben:

"Beim funktionalen Ort kann ein physischer Ort eine Rolle spielen, muss e[r] aber nicht; auf jeden Fall spielt er keine Hauptrolle. Stattdessen geht es um einen Prozess, eine Operation zwischen zwei Situationen, eine Aufzeichnung institutioneller und diskursiver Zugehörigkeiten sowie der Körper, die sich darin bewegen (vor allem des Körpers des Künstlers). Als informative Situation ist es ein Ort, an dem sich Text, Photographie und Videoaufzeichnung, physische Orte und anderes überlagern [...]. Das Werk ist mehr als nur eine starre Stahlwand, für alle Ewigkeit auf einem städtischen Platz installiert. Es ist etwas Vorübergehendes, eine Bewegung, eine Kette von Inhalten ohne zentrale Bedeutung"[14]

Der hier beschriebene Ort läßt sich nicht auf einer Planzeichnung eintragen und in einer städtischen Topographie exakt lokalisieren. Dieser Ort ist vorrangig diskursiv-textuell bestimmt, in die fortwährende Bewegung einer Signifikantenkette einbunden ohne deren inhaltliche oder zeitliche Wahrnehmung zu determinieren und durch die gegenseitige Durchdringung verschiedener Medien, zu denen der physische Ort ebenso zählen kann wie die Dokumentation eines anderen, gekennzeichnet. Miwon Kwon hat die Korrespondenz dieser Ortsdefinition und der in ihr angelegten Ortserfahrung mit der Bewegung durch den sogenannten Cyberspace hervorgehoben, die trotz Metaphern wie Website, Homepage und virtueller Raum nicht eine synchrone Simultaneität impliziert, sondern transitiv erfahren wird. Die so angenommene Transformation des Ortes textualisiere Raum und verräumliche Diskurs.[15] Hieraus resultiert, daß eine künstlerische Arbeit die sich mit einem solchen Ort auseinandersetzt, selbst transitorisch ist und folglich nicht den Anspruch erheben kann, den Ort materiell zu besetzen und ihn dadurch zu transformieren, sondern in seine dezentralisierte Netzwerkstruktur übergeht. Die Beschreibung eines Ortes als ein Durchgangspunkt in einer Operationskette verschiedener Diskurse und Technologien könnte eine Entsprechung in der von Michel Foucault unternommenen Analyse des unendlich Kleinen der 'Mikrophysik der Macht' in der Disziplinargesellschaft finden. Macht, so Deleuze in seinem Buch über Foucault "besitzt keine Homogenität, sondern definiert sich durch Singularitäten, die einzelnen Punkte, durch die sie hindurchgeht"[16] woraus weiter gefolgert wird, daß "'lokal' zwei ganz verschiedene Bedeutungen besitzt: die Macht ist lokal, insofern sie nie global ist, sie nicht jedoch nicht lokal oder lokalisierbar, insofern sie diffus ist."[17] Eine im Sinne Foucaults vermachtete Öffentlichkeit würde in der Beschreibung des funktionalen Ort so ihr Äquivalent finden. Dies kann auch dann als These formuliert werden, wenn man Deleuze in dem Schritt von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft folgt. Denn eine Metaphorik der molekularen Verästelung bleibt auch in dieser Konzeption bestehen, wird doch zum Beispiel der Körper der Fabrik durch das Unternehmen als "Gas" abgelöst.[18] An diesem Punkt sieht sich Kunst im öffentlichen Raum mit dem 'unendlich Kleinen' konfrontiert. Die Konzeption ihres Ortes nimmt explit bezug auf die von Deleuze/Guattari entwickelte Logik der Deterritiorislisierung. Der suggerierte Spielraum für Interventionen in diesem Raum erscheint als ebenso gering wie in der 'holistischen Vorstellung des gesellschaftlichen Ganzen' der Frankfurter Schule. Die Idee einer vollständigen Umfassung wird abgelöst von der einer kompletten Durchdringung. Beide Diskurse haben eine weitere Schnittmenge darin, die Begriffe und Konzeptionen, die sie in den Vordergrund rücken immer nur in einer Auflösungsrhetorik bestimmen zu können. Die Rede über sein Verschwinden scheint konstitutiv für alle Diskurse über den öffentlichen Raum zu sein. In der ersten Version wird wie gesehen Öffentlichkeit in ihrer Zerfallsgestalt begriffen, in der zweiten ein Ort als nur noch funktionale Größe in einem ständigen Prozess der Entortung, definiert. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß die Verfallsthese einen resignativ-melancholischen Zug aufweist während im Konzept des funktionalen Orts dessen Zersplitterung zum emanzipatorischen Potential (v)erklärt wird:

"[D]er funktionale Ort [fordert] seine eigene Zerstörung; er ist bewußt temporär. Sein Sinn besteht nicht darin, zu überdauern, sondern abgerissen zu werden."[19]

Diese bewußt nicht-identische, fragmentierte Ortsauffassung ist von entscheidener Bedeutung für die sich zu dieser Zeit unter dem Label New Genre Public Art[20] formierenden künstlerischen Strategien und Praktiken. Diese unternahmen den Versuch, das Verhältnis zwischen Ort, Publikum und Künstler/ Künstlerin entlang von Modellen der Partizipation zu reformulieren und dabei gerade das 'unendlich Kleine' als das partikulare, lokal- oder community-spezifische zu adressieren. Der Künstler oder die Künstlerin scheint dabei aber paradoxerweise in die Lage versetzt zu werden, aus sich heraus den Kontext der Arbeit als Teilöffentlichkeit selbst zu schaffen. Öffentlichkeit ist hier nicht das als Raumrest Vorgefundene, sondern das Produkt einer wiedererstarkenden künstlerischen Intention. Weniger ein kommunikativer, kollektiver Raum, ist sie vielmehr ein durch die Präsenz des Künstlers/ der Künstlerin und seiner/ ihrer Absichten strukturierter Raum einer auf diese Weise bereits vorgegebenen Interaktion. Künstlerische Subjektivität ist an diesem funktionalen Ort alles andere als fragmentiert. Vielmehr läßt sich in Analogie zu dem gestern in Teodora Tabackis Vortrag[21] verhandelten Ausspruch: "Ich bin eine Singularität" feststellen, wie sich hier das Subjekt als monadisch-abgeschlossenes in einem als deterritorialisiert beschriebenem Raum autonom setzt. Die Ausweitung der Begriffe, wie beispielsweise dem des Ortes, im Diskurs um New Genre Public Art erfolgt im Namen der Diversität und des Aufbrechens des homogenisierenden Raums der Moderne. Diese Ausweitung im Namen der Spezifizierung bringt aber auch eine Entkonkretisierung der Begriffe mit sich bis zu dem Punkt an dem sie ihre Beschreibungsfähigkeit einbüßen und in ein mimetisches Verhältnis zu der neo-liberalen Rhetorik eines angeblich post-industriellen Zeitalter und seiner Forderung nach mobil-fluiden Subjektivitäten treten. Allerdings muß auch die Aneignungslogik selbst, der sich KunsthistorikerInnen wie Miwon Kwon in Teilen bedienen, um berechtigte Kritik an der New Genre Public Art zu üben, ebenso konkretisiert werden. Um ein Beispiel anzuführen: eine Kritik, die Künstler und Künstlerinnen, deren Arbeitsweise darin besteht, ortsspezifische Arbeiten im Auftrag verschiedener Institutionen und Städte auszuführen, des sell-outs bezichtigt, weil Warenförmigkeit nicht mehr Chiffre von Produktion und Arbeit, sondern von Dienstleistung und Service sei, reproduziert post-industrielle Rhetorik und analysiert nicht ökonomische Prozesse.[22] Genauso müßig wäre es, zu dem Diskursparadigma, das um die Praxis der 60er Jahre entstand, zurückzukehren, um so nur noch eine Absorption des Kritischen in die umfassende Maschinerie der Kulturindustrie beklagen zu können. Vielmehr gilt es zu untersuchen, wie der Homogenisierungsprozess des globalen Kapitalismus das heterogene, lokal-spezifische nicht nur einfach nivelliert, sondern das als widerständig konzeptualisierte Partikukare und Differentielle dabei mitproduziert und der Konsumption zuführt.

Dies ist die Logik des Brandings. Unter dem Schlagwort des 'Gucci-Governments' erschien im letzten Jahr ein Artikel in der Zeitschrift Wallpaper, der die Tendenz vieler städtischer und nationaler Regierungen beschrieb, Werbe- und Marketingagenturen  zu beauftragen, um eine corporate identity aufzubauen.[23] Begleitet wurde dieser von einer Weltkarte, auf der die Länderbezeichnungen in korporatistische Logos überführt worden waren. Zum Beispiel wurde in ihr die Schweiz zum 'Switzerland Country' im Zeichen des Starbucks-Emblems, Puma und Peru verschmolzen ebenso zu einem Markennamen, wie Deutschland und adidas. Deterritorialisierung ist letztendlich eben auch die Operation des Kapitals und nicht nur die der sogenannten Avantgarde.



[1] Richard Serra: Titled Arc zerstört, erstmals publiziert in Art in America, New York City, Mai 1989, in ders.: Schriften Interviews 1970-1989, Bern 1991, S. 217-236,  S. 227.

[2] Vgl. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, um ein Vorwort ergänzte Neuauflage, Frankfurt am Main 1990, S. 152.

[3] ibid., S. 28.

[4] ibid., S. 249.

[5] ibid., S. 337.

[6] Benjamin H. D. Buchloh: Vandalismus von oben. Richard Serras Tilted Arc in New York, in: Walter Grasskamp (Hrsg.): Unerwünschte Monumente. Moderne Kunst im Stadtraum, München 1989, S. 103-119, S. 117.

[7] Benjamin H.D.Buchloh: Skulptur. Öffentlichkeit und Erfahrungsarmut, in: Sabine Breitwieser (Hrsg.): White Cube/Black Box, Werkschau Valie Export und Gordon Matta-Clark, EA-Generali Foundation, Wien 1996, S.151-161, S. 157.

[8] Siehe ibid., S. 158.

[9] Zum rechtlichen Diskurs um Public Art siehe Barbara Hoffman: Law for Art’s Sake in the Public Realm, in: W.J.T. Mitchell (Hrsg.): Art and the public sphere, Chicago 1992, S. 113-146.

[10] Douglas Crimp: Serras öffentliche Skulptur: Ortsbezogenheit neu definiert, in: Ausst.Kat. Richard Serra, Galerie m Bochum, Stuttgart 1987, S. 28-43, S. 33.

[11] Siehe Rosalind Krauss: Richard Serra. Sculpture [1986], in: Hal Foster mit Gordon Hughes (Hrsg.): Richard Serra. October Files, Cambridge, Mass./ London 2000, S. 99- 146, S. 141.

[12] Habermas: Struktuwandel, S. 35.

[13] ibid., S. 48. Habermas bezieht sich auf J. Meyrowitz: No Sense of Place, Oxford 1985.

[14] James Meyer: Der funktionale Ort, in: Ausst. Kat. Platzwechsel, Kunsthalle Zürich, Zürich 1995, S. 24-39, S. 26. [Hervorhebung Meyer]

[15] Vgl. Miwon Kwon: One Place After Another. Notes on Site Specificity, in: October 80, Spring 1997, S. 85-110, S. 95.

[16] Gilles Deleuze: Foucault, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1997, S. 40.

[17] ibid., S. 41.

[18] Gilles Deleuze: Psotskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: ders.: Unterhandlungen 1972-1990, Frankfurt am Main 1993, S. 254-262, S. 256.

[19] Meyer: Der funktionale Ort, S. 26. [Hervorhebung Meyer]

[20] Siehe Suzanne Lacy: Mapping the Terrain. New Genre Public Art, Seattle 1995.

[21] Teodora Tabacki: Why would one want to be (called) a 'singularity', or: La dialectique peut-elle casser les briques? Singularität, das Politische und die globalisierungskritische Bewegung. Vortrag am 21.02.2003

[22] Zu entsprechender Passage siehe Kwon: Notes on Site Specificity, S. 102/103.

[23] Siehe Eric Enno Tamm: Logo Lands, in: Wallpaper, Nr. 49, Juni 2002, S. 34-36.