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10 2006

In die Institution eintreten und ihr entwischen: Selbstinwertsetzung und Montage in der Gegenwartskunst

Marcelo Expósito

Übersetzt von Birgit Mennel

Der vorliegende Text wurde am 1. Oktober 2006 als ausschweifend formulierte und spontan geschriebene Antwort auf den Fragenkatalog einer spanischen Zeitschrift für Kritik und Gegenwartskunst erarbeitet (daher rührt auch die Informalität des Textes). Es handelt sich um einen unveröffentlichten Text, der für die Veröffentlichung im Webjournal transform „Do you remember institutional critique?“ leicht überarbeitet und modifiziert wurde. Die ursprünglichen Fragen wurden durch beschreibende Erläuterungen zu den jeweiligen Themen der einzelnen Abschnitte ersetzt.

 
Kritik der klassischen Arbeitsteilung in der künstlerischen Arbeit

Ich bin mir nicht sicher, ob ich zu diesem Thema etwas Neues sagen kann, denn mir scheint die Situation ziemlich eindeutig: Jene Rollenverteilung kann seit langem als überkommen und überwunden betrachtet werden, auch wenn sie im Kunstfeld sicherlich eine widersprüchliche symbolische und politische Hegemonie behalten hat. Einer meiner Ausbildungsbereiche war die unabhängige Videobewegung in Spanien während der 1980er und der ersten Hälfte der 1990er Jahre, in der die traditionellen „Rollen“ beinahe völlig enthierarchisiert waren. Es war üblich, dass die Partizipierenden des Netzwerks Schreibarbeit, Kritik, Organisation von Aktivitäten, Herausgabe und Publikation, Realisierung und Vertrieb der Werke usw. selbst übernahmen. Diesem Phänomen muss kein besonderes politisches Bewusstsein zugeschrieben werden. Teilweise lässt sich diese Enthierarchisierung dadurch erklären, dass die Videoarbeit damals eine marginale Praxis in der Kunstinstitution war; bekanntermaßen wurden auch in anderen „peripheren“ Räumen der Institution in verschiedenen Momenten und an verschiedenen Orten schon sehr früh ähnliche Erfahrungen mit der Enthierarchisierung und Gleichzeitigkeit bzw. mit der Austauschbarkeit in der Rollenausübung gemacht. Der Rückgang dieser von euch als „klassisch“ bezeichneten Arbeitsteilung entsteht meiner Meinung nach bereits in der Tradition der Avantgarden, sie war demnach je nach Blickwinkel schon damals auf ihre Weise „klassisch“.

Daher bin ich mir nicht sicher, ob jene Praxen, die diese Arbeitsteilung zu vermeiden suchen, immer als „Negation“ eines klassischen Modells oder als Suche nach „neuen“ bzw. „anderen“ Paradigmen verstanden werden können – wie dies manchmal sehr klischeehaft behauptet wird. Mir scheint eher, dass sie in ihren besten Momenten ein ihnen inhärentes Vermögen zeigen, dass sie in ihrer eigenen ontologischen Konsistenz schwelgen und dass sie historisch verankert sind; es handelt sich also um Praxen, deren Wesen nicht immer in Begriffen der „Alternative“ zu dem als klassisch bezeichneten Modell interpretiert werden kann. Für mich handelt es sich bei dieser Arbeitsweise schon lange nicht mehr um eine „alternative“ Praxis gegenüber einem „zentralen“ Modell, sondern vielmehr um eine Positivität, eine Erforschung von durch sich selbst konsistent wirkenden Formen. […]

Wenn ich nun eingangs die symbolische und politische Hegemonie einer bestimmten Arbeitsteilung im Kunstfeld als Widerspruch beschrieben habe, dann weil sich ein bestimmtes diffuses Modell der „KünstlerIn-ManagerIn" heute derart ausgeweitet hat, dass es über seinen Ausgangspunkt im Kunstfeld hinausreicht. Die Arbeit im künstlerischen und kulturellen Feld entspricht völlig dem im Postfordismus zentralen Paradigma der „kommunikativen“ Arbeit. Die Hegemonie einer bestimmten Arbeitsteilung in der Kunst ist damit einerseits symbolisch und stützt sich andererseits auf ökonomische und institutionelle Interessen. De facto ist die Arbeit der KulturproduzentIn gegenwärtig hauptsächlich eine kommunikative, linguistische und semiotische Arbeit, die wesentlich darauf beruht, mittels der Sprache Prozesse zu produzieren, die die Institution instrumentalisiert, indem sie diese Prozesse ausschließlich in dem Moment in Wert setzt, in dem sich besagte Produktion in ökonomisch und politisch rentablen Objekten und Ergebnissen materialisiert. Der Schlüssel zu diesem Widerspruch scheint mir auf der Tatsache zu beruhen, dass die Beibehaltung einer bestimmten Arbeitsteilung für die entwickeltste Form gegenwärtiger Kulturproduktion bzw. für ihre Haupttendenzen weder „natürlich“ noch wesentlich ist: Sie dient lediglich dazu, auf interessierte Weise diese und keine andere Form der Inwertsetzung künstlerischer Arbeit zu begründen: den Moment ihrer Verdichtung in marktfähigen Objekten bzw. ihre Verdichtung in einem bestimmten Typ von Ereignissen. Was diesen Aspekt anbelangt, würde ich sagen, dass die Institution strukturell sowie organisatorisch einer Tendenz folgt und sich dieser anpasst.

Wenn man sich dafür entscheidet, die Inwertsetzung der Arbeit auf andere Weise, an anderen Orten sowie in anderen Momenten und Prozessen zu situieren; wenn man sich vor allem zumindest teilweise dafür entscheidet, auf der Selbstinwertsetzung künstlerischer Arbeit zu bestehen, dann geht es nicht mehr darum, ein bestimmtes Arbeitsteilungsmodell zu negieren oder zu kritisieren: Vielmehr ist es einfach nicht mehr angemessen. Das ist jene Perspektive, in der ich mich verorte.

Dem muss hinzugefügt werden, dass die Ausweitung eines bestimmten diffusen Modells der „KünstlerIn-AgentIn“[1] heute nicht notwendigerweise eine kritische, alternative oder auf Selbstvalorisierung abzielende Praxis impliziert, wie dies sowohl in der Protestphase von ’68, vor etwa dreißig Jahren, in einer Atmosphäre weit verbreiteter Kritik an sozialen Institutionen, aber auch in jenem brisanten Moment der Verbindung von Avantgarde und Politik der Zwischenkriegszeit noch der Fall war. Vielmehr handelt es sich heute um ein mehrdeutiges Modell. (Man muss sich nur die Funktionen verschiedener „relationaler“ KünstlerInnen und KuratorInnen vor Augen führen.) Das gegenwärtige Verschwimmen bestimmter „klassischer“ Funktionen künstlerischer Arbeit entspricht fast punktgenau den Formen der Arbeits-„Flexibilisierung“ im allgemeineren Kontext der Produktion. Die „Flexibilität“ künstlerischer oder kultureller Arbeit ist wie im gesamten erneuerten Kapitalismus schon auf den ersten Blick zutiefst ambivalent. Es handelt sich jedoch um einen irreversiblen Prozess: Wir müssen vom Inneren dieser zeitgenössischen Bedingung her handeln.

 
Künstlerisches und „nicht“ künstlerisches „Werk“: Über den „künstlerischen Charakter“ künstlerischer Arbeit

In Bezug auf die Arbeit gewisser KünsterlerInnen (zu denen ich mich zähle) entspricht die Unterscheidung zwischen  „nicht im engeren Sinne“ „künstlerischer“ Arbeit und „eigentlich“ künstlerischer Arbeit einer hierarchisierenden Taxonomie, die sich auf eine ziemlich altbackene Vorstellung der Idee eines „Werks“ stützt. Lissitzky sagte gegen Ende seines Lebens, er betrachte die sowjetischen Propaganda-Pavillons, die er für die bolschewistische Regierung in der Frühphase der Sowjetunion entworfen hatte, als sein Hauptwerk. Die Unterscheidung zwischen „künstlerischem Werk“, „Design“ und „Arbeiten für den Staatsapparat“, die die Geschichtsschreibung einführt, um den Werdegang Lissitzkys einzuordnen, tut der Eigenart seiner Biographie Gewalt an. Mir scheint es fruchtbarer, seine Bekräftigung ernst zu nehmen und sich zu fragen: Wo in aller Welt findet sich das „Werk“ im Fall seiner Pavillons?

Lissitzky, Klucis, Heartfield, Renau oder der Benjamin des Kunstwerkaufsatzes und des „Autors als Produzenten“ waren für mich lange Zeit das grundlegende Paradigma einer bestimmten Weise, ein ehedem klassisches Modell hinter sich zu lassen, und so auf die Öffnung hin zu einem neuen Typ von Praxen aufmerksam zu machen (gerade weil sie nicht „die einzigen“ und weil sie nicht isoliert waren); diese Praxen eröffneten Möglichkeiten – ohne dabei vom Null auszugehen –, die nicht mehr nur eine „Negation“ des Vorherrschenden sind, sondern eine ihnen eigene Konsistenz und Positivität organisieren. Ein von Lissitzky entworfener Pavillon ist ein kollektives Projekt, dem pluridisziplinäre Dynamiken eingeschrieben sind; ein Projekt, das sowohl „Werke“ wie auch etwas anderes als Werke sowie eine Vielzahl von „dazwischen“ liegenden Elementen enthält. Es handelt sich dabei um eine Arbeit, die von kooperativen Prinzipien ausgeht und verschiedene Kompetenzen zusammenfügt. Außerdem ist sie zutiefst durch zwei Eigenschaften geprägt, die das klassische Modell in Frage stellen, um es schließlich hinter sich zu lassen: ihr nützlicher Charakter sowie ihre kommunikative Dimension. Mir scheint, dass der Moment, in dem das begann, was wir heute sind oder immer noch werden können, jener war, als die Kunst der Avantgarde ihre politische Funktionalität offen aushandeln musste und sich ihrer kommunikativen Dimension stellte, indem sie diese vor mehr als einem Jahrhundert nicht mehr auf der inhaltlichen Ebene diskutierte, sondern strukturell inkorporierte. 

(Ulises Carrión, einer der KünstlerInnen, die ich am meisten bewundere, arbeitete ohne Unterlass und produzierte beinahe nichts, was als Werk verstanden werden konnte, da seine Praxis größtenteils darauf beruhte, in herrschende Kommunikationsprozesse zu intervenieren bzw. andere Kommunikationsprozesse zu produzieren, indem er in seiner Praxis die sich stetig verändernde Form sowie den Moment ihrer (Selbst-)Valorisierung beständig verlagerte. Seine Arbeit bestand darin, Kommunikationskanäle zu stören, eine alternative Kommunikation herzustellen und Organisationsnetzwerke zu weben.)

Wir können vom historischen Beispiel bestimmter Avantgarden zwei Dinge lernen: Erstens es kann „Kunst“ „ohne Werke“ geben (Godard sagte, das Kino sei eine Sache und Filme eine andere; oft hat das eine mit dem anderen nichts zu tun: Daher müsste sich die Kinogeschichte strikt von der verbreiteten Geschichte der Filme und RegisseurInnen unterscheiden. Ich habe mich vor einiger Zeit gefragt, wie man wohl eine Kunstgeschichte „ohne Werke“ schreibt bzw. wie man eine Geschichte schreibt, in der die gängige Vorstellung des Werks ihre zentrale Bedeutung verliert). Zweitens man kann Kunst machen, die „keine zu sein scheint“ (die Beispiele dafür vervielfältigen sich exponentiell, wenn man den europäischen Raum und die „klassischen“ Avantgarden verlässt). Die erste Lektion beruft sich nicht auf akademische Gemeinplätze über die Entmaterialisierung des Objekts, sondern auf die radikale Mentalitätsveränderung, die in bestimmten historischen Fällen über die Frage hergestellt wird, worin der Moment der Inwertsetzung künstlerischer Arbeit besteht, was prioritär behandelt werden muss und was die „neuen“ Formen sind, die diese Arbeit annehmen muss, um sich selbst in Wert zu setzen. Die zweite Lektion bezieht sich auf das für die künstlerische Arbeit charakteristische Statut der Kontingenz, das als solches nicht immer vorrangig berücksichtigen muss, in Übereinstimmung mit den vom jeweiligen institutionellen Feld gebilligten Legitimitätskriterien anerkannt zu werden,[2] noch weniger sogar, wenn die Formalisierung der Arbeit oder ihrer Prozesse sich außerhalb des Feldes verlagert bzw. zwischen dem Innen und Außen des Feldes strömt. In diesem letzten Fall ist es besonders wichtig, sich darüber klar zu sein, dass der „Kunstcharakter“ des Produzierten weder eine Identität noch eine wesentliche Bedingung und auch nichts im Vorhinein gegebenes ist: Es handelt sich dabei vielmehr um eine Kontingenz, die auf taktische oder politische Funktionen antworten kann, und deren Anerkennung als „Werk“ sowohl diskursiv wie auch materiell als „Gemeinsinn“ des institutionellen Feldes über Konflikt und Verhandlung ausgetragen werden muss. Daher scheint es mir erforderlich, sich in Schreibarbeit und Kritik zu üben; sich also in jenen Tätigkeiten zu üben, die man nicht als Profession derjenigen verstehen sollte, die geistreiche Urteile abgeben, sondern als Terrain, in dem die Kriterien der Legitimität und Valorisierung der Praxen konfliktiv ausgetragen und verhandelt werden (http://transform.eipcp.net/transversal/0806/butler/de).

 
Montage

Die Montage ist für mich die großartigste Erfindung, die die künstlerische Avantgarde im vergangenen Jahrhundert gleichermaßen zur Kultur wie auch zur Politik beigetragen hat. Ich beziehe mich hier auf die Montage, die – ob bei Tucumán Arde, Heiner Müller oder Alexander Kluge – keine sich in sich selbst entfaltende Stilübung ist, sondern vielmehr ein Instrument für kritisches Denken. Montieren bedeutet so, heterogene Dinge in einem fragmentierten Ensemble zusammenzufügen, sodass ihre strukturelle Diskontinuität hervorgehoben und eine bestimmte Illusion der Selbstkohärenz, Einheit der Form sowie des Diskurses zerstört wird, ohne deshalb auf Sinnproduktion zu verzichten; es handelt sich dabei um Dinge, deren Zusammenfügen in einer Einheit, die durch sich selbst auf einen anderen Ort verweist, gedacht zu werden lohnt. Ich bewundere alles, was diese Erfindung zur Formkonstruktion wie auch zur diskursiven Praxis beitragen kann.

Ich verstand meine Teilhabe an Verlagsprojekten beispielsweise völlig oder teilweise als Kunstprojekte. Die Verlagsprojekte, an denen ich teilhatte, bestehen unter anderem darin, Elemente, von denen wir glauben, dass wir ein Teil von ihnen sind, und die sich in unterschiedlichen Materialisierungs- und Zerstreuungsgraden in den weiteren Strömen oder Netzwerken auffinden lassen, über eine Neuorganisation zu katalysieren, indem wir die herausgeberische Aktivität auf sehr einfache Weise verstehen: als Montagetechnik, die einen Diskurs auf diskontinuierliche Weise artikuliert und so aufs Neue in Umlauf bringt. Umgekehrt tendiere ich immer seltener dazu, die „künstlerischen“ Projekte der Untersuchung, Lehre oder KuratorInnenschaft, die ich im Allgemeinen umsetze, als Hybride oder als interdisziplinäre Vorschläge zu beschreiben; im Gegenteil, ich glaube sogar, dass sie sich diesen Kategorien entziehen, denn technisch gesehen, bestehen sie fast immer aus kleinen Konstruktions- und Montageübungen.

Um zusammenzufassen: Wenn die übliche Unterscheidung zwischen dem, was KünstlerInnen eigentlich als „Werk“ produzieren und unserer eher abgeleiteten Arbeit (Kritik, Herausgabe, Schreiben etc.) mir dann nicht passend scheint, wenn man darüber nachdenkt, was getan werden muss, dann vor allem darum, weil ich glaube, dass die Konstruktions- und Montagearbeit manchmal „Dinge“ herstellt, die nicht notwendigerweise als „Werke“ gelesen werden können. Ich war immer skeptisch in Bezug auf das Fortbestehen des surrealistischen Objekts in der Gegenwartskunst und in Bezug darauf, wie in der vorherrschenden Konzeptkunst sowie deren Folgeerscheinungen der Formfetischismus durch die Hintertür der Dienstleistung wieder eingeführt wurde; auch dem Dada traue ich wenig zu; dafür halte ich am Konstruktivismus und am Produktivismus fest, sowie am modernen politischen Dokumentarfilm und Montagekino. Beinahe jede Kunst, von der ich lerne, besteht darin zu konstruieren, zu (re-)strukturieren, zu kombinieren und zu montieren, um dann Artefakte zu produzieren, deren Lesbarkeit immer ambivalent, konjunkturabhängig und situiert bleibt.

 
Die KünstlerIn als facettenreichen ArbeiterIn
Widerspruch, Anpassung und KomplizInnenschaft mit dem institutionellen Medium

Es könnte vielleicht interessant sein, einen Augenblick bei diesem sehr eigenartigen Adjektiv „facettenreich“ zu verharren. Als die Geschichte der modernen westlichen Kunst eine Erzählung konstruieren musste, um sich die Brüche bestimmter Erfahrungen der Avantagarden einzuverleiben und „sie zu normalisieren“, tat sie Folgendes: Sie griff zum Beispiel die sowjetische Kunst auf und artikulierte ihre (Re-)Präsentation, indem sie eine Erzählung dieser Kunst erstellte, die die biographischen Linien als einzelne Bestandteile einer „pluralen“ Strömung spezifizierte, und in dieser Erzählung jede der mehr oder weniger isolierten Individualitäten ausgehend von der Organisation ihres in Stile und Formate eingeteilten „Werks“ beschrieb. Es war diese Taxonomie und Nebeneinanderstellung, die den Effekt der Gleichzeitigkeit in der Anwendung der Techniken, Sprachen und Vorrichtungen seitens der KünstlerInnen produzierte. Derart konstruierte die Kunstgeschichte im vergangenen Jahrhundert den Mythos der modernen „facettenreichen“ KünstlerIn. Rodtschenko und Stepanova verstanden sich niemals als facettenreiche KünstlerInnen; diese Eigenschaft ist ein Sinneffekt der modernen Kunstgeschichte, um die durch diese KünstlerInnen repräsentierten Brüche einer normalisierten und den Konflikt domestizierenden Erzählung einzuverleiben. Ihr Werk ist aber nicht facettenreich: Es ist konfliktiv.

Was die Arbeit im Allgemeinen angeht, so ist auch die zeitgenössische ArbeiterIn nicht „facettenreich“, sondern mehrfach ausgebeutet, oder besser gesagt: Sie ist einem Regime flexibler Ausbeutung unterworfen (http://en.wikipedia.org/wiki/Precarity). Kreuzt man die Konzepte, so könnte es unterhaltsam sein, sich vorzustellen, wie sich die Illusion des „Facettenreichtums“ der ArbeiterIn, die heute nötig ist, um die neue Form kapitalistischer Herrschaft über die Arbeitskraft erträglicher zu gestalten, zu jenem Typ flexibler Ausbeutung verhält, dem Tatlin oder Popova durch die moderne Kunstgeschichte unterworfen sind, um eine Art kulturellen Mehrwert zu erzielen, die deren Existenz speist, und dafür dem Wesen der ursprünglichen künstlerischen und politischen Erfahrung Gewalt anzutun.

Die „ KomplizInnenschaft“ ist der zweite Begriff, der mir seltsam erscheint; man möchte fast dankbar sein für die Eindeutigkeit des Ansatzes, aber er verweist auf einen wenig operativen Fragefokus: Wie muss man sich auf der Anklagebank bekennen: schuldig oder unschuldig? (Ich kenne keine anderen Optionen und vor allem tue ich all dies weder, um mich einem politischen Prozess unterzuordnen, noch um in den Himmel zu kommen.) Wenn es sich jedoch darum handelt, in Frage zu stellen, ob „kritische“ Positionen „authentischerweise“ den Zustand der Dinge befragen oder ob sie ganz im Gegenteil sogar dazu beitragen, ihn zu reproduzieren, dann glaube ich, für den Anfang könnte eine sehr vereinfachte Antwort sein: beides. Aber es reicht nicht aus, dies festzustellen.

In dieser Ordnung der Dinge unterscheidet sich die künstlerische Arbeit nicht von der Art und Weise, in der die Gesamtheit postfordistischer Arbeit zwischen Selbstinwertsetzung und Herrschaft (Unterwerfung) oszilliert; dies mutet oft paradox an, da die Arbeit zugleich unter zwei Bedingungen operiert: Autonomie und Unterwerfung. Sowohl die künstlerische wie auch die kulturelle Arbeit waren im vergangenen Jahrhundert sehr lange „außerordentliche“ soziale Arbeiten, jenseits des Gewöhnlichen, ausnahmslos. Heute hingegen werden ihre klassischen Merkmale[3] immer mehr zum Paradigma der wesentlichen Arbeitsformen im erneuerten Kapitalismus (http://www.cip-idf.org).

Alle meiner Generation, die noch ehe sie politische Arbeit machten, als KünstlerInnen aktiv waren, begannen allmählich zu begreifen, wie diese Art von Tätigkeit im Kunstfeld funktionierte. Zu Beginn hatten wir nicht die leiseste Vorstellung davon, wie intensiv das System flexibler Ausbeutung, dem wir unterworfen waren, trotz seiner Diskontinuität, wirkte. Aber gerade diese Diskontinuität ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Ausbeutung. Wenn eine Institution in kontinuierlicher und regulierter Weise über deine Arbeit „verfügt“, findet man sich augenblicklich in einer regulären Beziehung des Typs „Arbeit für Lohn“. Wenn sie hingegen auf diskontinuierliche und deregulierte Weise über deine Arbeit „verfügt“, verwandelt sich die vorherige Beziehung in die Gelegenheitsbestimmungen „Arbeit für Einkommen“. Das diskontinuierliche Einkommen ist kein fortwährend bezahlter Lohn, sondern das, was dir umstandsbedingt für eine Terminarbeit des Typs „Dienstleistung“ bezahlt wird; die übrige Zeit gehört „dir“. Aber während dieser für die Institution „inaktiven“ Zeit realisiert man die Arbeit der Selbstbildung, des Trainings bzw. des Versuchs, der Vorbereitung, der Produktion usw., die dann in der Erbringung „der Dienstleistung“ ins Werk gesetzt wird, ohne dass man dafür bezahlt wird. Die Ausbeutung künstlerischer Arbeit ist intensiv, weil sie sich über die gesamte Lebenszeit erstreckt, die man für seine Hingabe aufwendet, aber der Schlüssel dazu, warum dies für die Institution ökonomisch nachhaltig ist, liegt in der Tatsache, dass die Ausbeutung auf diskontinuierliche Weise zustande kommt: Man wird nur für das Projekt, die Ausstellung oder die konkrete Untersuchung bzw. für jene Stunden bezahlt, die „man arbeitet“. Wenn dieser Ausbeutungstyp im Kunstfeld weitestgehend akzeptiert wird, dann offenbar, weil man durch die Aktivität scheinbar in Termini der Freiheit und des Selbstausdrucks qua Berufung „belohnt“ wird. Und auch, weil das Unterwerfungsverhältnis mit der Institution irregulär ist, im Verhältnis Arbeit-Einkommen, aber konstant in symbolischen Begriffen und in den Subjektivierungsformen: Der KünstlerIn wird beigebracht, immer die Institution als GarantIn für die Legitimität und vor allem die „Relevanz“ der eigenen Arbeit zu betrachten.

Jene, die begannen, die Politisierung ihrer künstlerischen Praxis zu denken, ohne den im Inneren der Institution vorherrschenden Teufelskreis der Inwertsetzung zu durchbrechen, sahen sich mit einem unausweichlichen strukturellen Widerspruch konfrontiert. Die institutionskritischen Strömungen sowie bestimmte Formen öffentlicher und kritischer Kunst und einige der repräsentationskritischen Praxen, die uns von den 1980ern bis Mitte der 1990er Jahre inspirierten, waren wie ein Geschenk des Himmels in der Mitte der Wüste postmoderner kultureller Konterrevolution. Aber es wurde immer deutlicher, dass die kritischen Praxen eine ihnen eigene Konsistenz und ein ihnen eigenes Vermögen zur Kreation (und zur Selbstkreation!) nur mittels der Lösung entwickeln konnten, die einige der Erfahrungen der historischen Periode der Avantgarden entwickelt hatten, als sie denselben Scheidepunkt erreichten: Eine Kritik, die in ihrem eigenen Feld gefangen war. Sie machten sich also auf die Suche nach anderen Momenten, Orten und Formen der Inwertsetzung künstlerischer Arbeit abseits oder neben der Beziehung mit den Institutionsapparaten. Dies wurde erst zu Beginn der 1990er Jahre ausschlaggebend, als eine Selbstinwertsetzung der eng mit den neuen Protestformen und Dynamiken sozialer Autonomie verbundenen künstlerischen Arbeit möglich zu werden begann. Dies ist meiner Meinung nach die herausragende Rolle, die neuen kollaborativen Erfahrungen von „KünstlerInnen-“ Gruppen zukam, wie bspw. La Fiambrera in Spanien, Ne pas plier in Frankreich, Grupo de Arte Callejero (GAC) und Etcétera in Argentinien und den vielen anderen Erfahrungen, die weniger deutlich oder konsistent waren bzw. die wir dabei sind zu entdecken: In dem Moment, als die künstlerische Praxis bereits für die gesamte postfordistische Produktion paradigmatisch war, erfanden diese kollaborativen Erfahrungen aufs Neue eine Form der Inwertsetzung künstlerischer Arbeit; sie schufen eine Passage von der reinen Unterwerfung (wenn es sich dabei auch um eine kritische Unterwerfung handelte) in die flexible Ausbeutung, und trugen dazu bei, dass diese Selbstinwertsetzung die neuen aus eben diesen Rissen in der neoliberalen Hegemonie hervorgegangenen oppositionellen sozialen Dynamiken zu stärken vermochte.

Diese Form, den Kreislauf, in dem die kritischen Praxen gefangen waren, zu durchbrechen, „löste“ selbstverständlich nicht alle Probleme mit Unterwerfungsformen kritischer künstlerischer Arbeit unter die Institution, denn dieses Verhältnis ist kompliziert und beinhaltet Aspekte, die vom Symbolischen bis zum Ökonomischen reichen; aber sie unterstützt die Bedingungen, um die Unterwerfung ausgehend von anderen materiellen und politischen Positionen aufzudecken und anzugreifen.

Diese kurze Erzählung scheint in der Idee zu münden, dass es konsequenterweise notwendig wäre, jene Dynamik ins Extrem zu treiben, um so eine reine und einfache Flucht aus der Kunstinstitution zu verwirklichen bzw. um mit der Institution ein rein zynisches oder instrumentelles Verhältnis von außen beizubehalten. Dies schien mir aus vielen Gründen nie eine intelligente oder wirksame Schlussfolgerung; es handelt sich um eine Binsenweisheit: Die Produktion künstlerischer oder kultureller Artefakte entspricht nicht der Produktion von Autos oder Rüstung. Was wir produzieren hat eine komplexe Funktion im semiotischen Kapitalismus. So sexy der post-situationistische Standpunkt auch erscheinen mag, nirgendwo steht geschrieben, dass die kulturellen Artefakte nichts anderes sind oder sein können als (oder außer) Waren bzw. ideologische Herrschaftsinstrumente des Bewusstseins; es ist empirisch nicht haltbar, dass jede „Form“, die die Arbeit in der Industrie des „Spektakels“ annimmt, verdinglicht würde; ich halte nichts von der Hypothese der Vereinnahmungsmacht des Systems. Ich glaube auch nicht an eine der Kultur innere Güte bzw. an eine ihr wesentliche Legitimität als Mittel zur Emanzipation! Aber angesichts von soviel (zynischem oder aufgeklärtem) Unglauben in unserem eigenen Feld, sehe ich kein anderes Mittel als mich an die Potenzialität glaubend zu deklarieren (Das ja: Ich glaube an die Theologie der Befreiung!), und ich glaube außerdem, dass die kritische Arbeit in den künstlerischen und kulturellen Institutionen sowie in den Erziehungsinstitutionen kein Bewusstsein erhellen muss, sondern v.a. auf die Formen der Produktion von Bewusstsein und die instituierten Subjektivierungen Einfluss nehmen sollte. Es scheint mir nicht nur eine politische Notwendigkeit, sondern v. a. auch eine biographische Lehre zu sein, dass die im institutionellen Feld realisierten Operationen versuchen müssen, dieses Feld hinter sich zu lassen, und dass sie vor allem versuchen müssen, ihre Produktion zumindest teilweise außerhalb dieses Feldes in Wert zu setzen; so konnten wir den hoffnungslosen Kreislauf der Kritik durchbrechen, die auf nichts anderes hoffen zu können scheint als auf ihre x-te Vereinnahmung.

Worauf es ankommt, ist nicht, ob eine Kritik vereinnahmt wird oder nicht; es kommt darauf an, dass diese Kritik fähig war, etwas abseits ihrer Ausübung als Kritik hervorzubringen. Was zählt, ist allein, ob deine Arbeit dazu beiträgt, singuläre und kollektive Energien zu mobilisieren; dies kann auf sehr unterschiedliche Arten und in unterschiedlichen Intensitätsgraden geschehen. Alle zu „KomplizInnen“ einer Situation zu erklären, führt nur zu einem allgemeinen Zynismus. Gleichermaßen beunruhigt es mich, Personen, deren Arbeit ich schätze, ohne weiteres behaupten zu hören, dass „wir alle innerhalb“ und „alle Institution“ oder „alle Prostituierte“ des Kunstfeldes sind, denn ihre Behauptungen sind nicht exakt, und sie sollten sich daher nicht damit aufhalten; meiner Meinung nach hätten sie die Verantwortung, die ausstehende Frage zu beantworten: Was tun?

Seit einigen Jahren gibt es eine Kontinuität von Projekten, die eine weder zynische noch instrumentelle Beziehung zur Institution haben, und die das Ziel verfolgen, kritische Praxen in Inneren der Institution zu schaffen, indem sie ihre Inwertsetzung zugleich dort und an einem anderen Ort, in einem anderen Moment und in anderen Formen suchen. Es geht darum, in die Institution „einzutreten“ und ihr „zu entwischen“, ein Kontinuum, in dem die institutionelle Formwerdung nicht vermieden, sondern betrachtet wird, ohne jedoch der Hauptzweck zu sein (http://transform.eipcp.net/calendar/1153261452, http://transform.eipcp.net/transversal/0406/crs/es, http://www.fridericianum-kassel.de/ausst/ausst-kollektiv.html#interfunktionen_english, http://www.exargentina.org/lamuestra.html, http://transform.eipcp.net/correspondence/1177371677?lid=1177372443). Netzwerke und Ströme zu produzieren, die frühere Demarkationslinien nicht respektieren und anstelle dessen ihre eigenen Formen einer öffentlichen Sphäre konstituieren – ein Konzept, das erhalten bleibt – ist mit Sicherheit eine der wichtigsten Interventionen der politischen Kreativität dieses neuen Zyklus.

Um jedoch dem Rechnung zu tragen, dass es sich hier um schwierige und problematische Dynamiken handelt, muss man sich nur den Fall von Desacuerdos (http://www.desacuerdos.org) vergegenwärtigen. Das Projekt Desacuerdos scheint mir ein deutliches Beispiel für die Schwierigkeit, gleichzeitig verschiedene Momente und Formen der Inwertsetzung der Arbeit im Kunstfeld über den Weg der Aushandlung miteinander zu vereinbaren; besonders wenn diese Arbeit außerhalb oder in der Peripherie des besagten Feldes entsteht. Ich glaube, dass im Fall von Desacuerdos das Scheitern jener, die mit den unterschiedlichsten Koordinierungsaufgaben und Verantwortlichkeiten betraut waren, vielleicht darauf beruht, die Vereinbarkeit im Inneren des Projekts verunmöglicht zu haben, die Vereinbarkeit der komplexen Form der unterschiedlichen Dynamiken und Interessen der Inwertsetzung der geleisteten Arbeit.
Es war ein Versuch, und hoffentlich mehren sich diese Versuche; mir scheint nicht, dass dieses Experiment alle anderen Verdienste widerlegt, die nicht gering sind (man muss sich nur die Publikationen des Projekts ansehen). Aber dass dieses Scheitern sich im Konkreten ausgerechnet zwischen jenen Subjekten und Institutionen ereignete, die sich über lange Zeit für ähnliche Prinzipien einsetzten, verpflichtet uns dahingehend, die Sache mit viel größerer Vorsicht, einer längeren Reflexionszeit sowie mit mehr Bescheidenheit anzugehen. Ich glaube, dass das Ergebnis von Desacuerdos unweigerlich dazu verpflichtet, das Problem des Maßstabs, der Rhythmen, der Arbeitsteilung und der Führung der Entscheidungsfindungsprozesse in kritischen mit Institutionen verbundenen Produktionsprojekten zu überdenken. Außerdem weist Desacuerdos (um mich weiterhin auf die Frage der Beziehung zwischen Kritik, Kunstfeld und Institution zu beschränken) auf die Notwendigkeit hin, jenen Gemeinplatz zu wenden, der beteuert, dass „am Ende hinter den Institutionen Personen stehen“. Denn im Hintergrund, hinter den Personen sind doch die Institutionen (die durch ihr Beharrungsvermögen über vielfältige Formen verfügen, die Mikrophysik der Macht anzuwenden) sowie die verschiedenen Machtbeziehungen, die sich außerhalb der Institutionen im Kunstfeld auffinden lassen. Es handelt sich dabei nicht um ein prinzipielles Problem. Foucault bestand darauf, dass seine Kritik an den Institutionen keine paralysierende sei, und dass sie auf keinen wesentlichen Raum der Freiheit verweist, denn die Einübung in die Freiheit und das Experimentieren durch die Konstruktion seiner selbst läßt sich nur innerhalb der gegebenen Machtbeziehungen erproben. Modi des Tuns, die so widersprüchlich und komplex sind wie jene, die ich gerade zu behandeln versuche (von denen ich – Vorsicht – niemals sagen würde, sie schließen andere aus) scheinen mir in der heutigen Zeit mit all ihren Schwierigkeiten unentbehrlich; aber dabei wird auch deutlich, dass die zukünftigen Erfahrungen mit Fehler und Erfolg, Konflikt und Verhandlung nicht bessere, sondern politischere Absichten erfordern.

 
Weiterführende Links:

http://www.arteleku.net/4.0/pdfs/1969intro.pdf
http://www.arteleku.net/4.0/pdfs/1969-1.pdf

http://www.arteleku.net/4.0/pdfs/1969-3.pdf
http://transform.eipcp.net/transversal/0106/brumaria/es
http://usuarios.lycos.es/pete_baumann/marceloexpo.htm



[1] Ein zweifellos schlüpfriger Begriff, nicht? Erweitern wir ihn daher um die Idee der KünstlerIn-DraufgängerIn, KuratorIn-KünstlerIn oder KünstlerIn-„UnternehmerIn“, wie auch Maurizio Lazzarato ein wenig provokant von der postfordistischen ArbeiterIn als „UnternehmerIn“ spricht …

[2] Es handelt sich hier um Kriterien der Lesbarkeit, damit das „Werk“ als Kunstwerk anerkannt wird; wie wir bereits wissen, handelt es sich dabei wieder um historische und kontingente Kriterien, die überhaupt nicht unparteiisch sind; man sollte beispielsweise keinesfalls die Lehren der Kunstgeschichtsschreibung und der feministischen Kinotheorie vergessen.

[3] Nicht regulierte Tätigkeit, die nicht der Disziplin der „Fabriksarbeit“ unterworfen ist; Betonung des Werts der eigenen Ausdrucksfähigkeit; die maximale Bedeutung, die der Subjektivität erteilt wird …