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01 2000

Rain is a cage you can walk through. Zu einigen Arbeiten von Judith Hopf

Sabeth Buchmann

I. Wer will was von wem

Neben der Möglichkeit, die Anforderungen und Zumutungen der Welt willkommen zu heißen, gibt es immer noch die andere Option: im Bett zu bleiben wie Oblomov, sich mit Kafka in die Mikrowelt der singenden Mäuse zu begeben oder zur schlichten Formel des dankenden Verzichts zu greifen wie "Bartleby", der rätselhafte Büroangestellte aus Herman Melvilles Erzählung: "I would prefer not to ...". Bartlebys Standardantwort auf die Anweisungen seines Arbeitgebers, eines New Yorker Anwalts, ist gegenüber den heroischen Gesten der Arbeit oder des Widerstands von äußerster Förmlichkeit und Profanität. Da Bartlebys Arbeitsverweigerung mit dem Verzicht auf jegliche Erklärungsabsicht einhergeht, bleibt seine Figur eine Leerstelle: Als solche übernimmt sie die Funktion, ihr Umfeld neu zu formieren, welches Melville aus der Perspektive des Anwalts, des Ich-Erzählers, beschreibt.

Als Judith Hopf anlässlich der im Frühjahr 1999 von der Berliner Volksbühne organisierten Veranstaltung "Mille Plateaux" Melvilles Erzählung in einer filmischen Adaption aktualisierte, griff sie damit eine Figur auf, der Gilles Deleuze 1989 seine Hymne "Bartleby oder die Formel"[1] gewidmet hatte. Deleuze spielt auf Bartlebys Tätigkeit als Büroschreiber an, wenn er mutmaßt, dass der Entschluss, eines Tages aufzuhören, "abzuschreiben, das heißt Worte zu reproduzieren (...), eine Unbestimmtheitszone wachsen [lasse], so daß die Worte sich nicht mehr unterscheiden". Auf diese Weise erzeugten sie "eine Leere in der Sprache", die "auch die Sprechakte [entschärfe], denen zufolge ein Arbeitgeber befehlen, ein wohlwollender Freund Fragen stellen, ein aufrichtiger Mensch Versprechungen machen" könne.[2] Genau diese "Leere in der Sprache" fördert - wie Hopfs "Bartleby" in seiner neuen Rolle als Mitarbeiter einer Grafikdesignfirma zeigt - eine Aufmerksamkeit für Phänomene, die in kritischen Diskursen über neoliberale Arbeitsideologien oft übersehen werden: Was passiert eigentlich, wenn ein/e Einzelne/r sagt, dass sie/er etwas nicht tun möchte? Dieser konkrete Fall wird in Judith Hopfs Verfilmung in aller Ausführlichkeit diskutiert und unterscheidet sich hierin von der Vorlage. Während bei Melville die einzige Informationsquelle die subjektive Perspektive des Ich-Erzählers ist, der die Leser/innen in seine Bemühungen verwickelt, das rätselhafte Verhalten seines Angestellten zu ergründen, richtet sich Hopfs Ich-Erzählerin an eine andere, zwischengeschaltete Vermittlungsinstanz. Es handelt sich dabei um einen Fernsehjournalisten, der sich für das Phänomen der Arbeitsverweigerung interessiert. Der später auf dem Off-Kanal gesendete Film wurde im Stil einer Fernsehreportage am Rande der "Mille Plateaux"-Verstaltung in der Volksbühne gedreht. Die Rahmenerzählung findet in Form eines Interviews zwischen dem Journalisten und der von Judith Hopf gespielten Firmenmitarbeiterin statt. Während sie erklärt, ihr gehe es lediglich darum, ein Phänomen zu beschreiben, das sich in ihrer Firma zugetragen habe (worum sie sich auch sichtlich bemüht), driften Gesagtes und Gemeintes im suggestiven Frage-Antwort-Spiel des Interviews ständig auseinander. Der Journalist hat die Antworten auf seine eigenen Fragen bereits parat, was seine Interviewpartnerin dazu veranlasst, diese zurückzuspielen. Ohne die literarische Vorlage zu "kopieren" entsteht auf diese Weise ein "bartlebyesker Effekt", durch den die Gesprächstechnik fortwährend Leerstellen zwischen dem Gesprächsanlass (der Ergründung der eigenen Faszination für Bartleby, "dem Phänomen") und dem Vermittlungsgegenstand (der Beschreibung des Phänomens) erzeugt. Diese Leerstellen entstehen genau dort, wo sich die Intentionalität der Erzählung - gemäß der im Interview vermittelten Perspektiven der Gesprächspartner/innen - mit der Rekonstruktion von Bartlebys Geschichte vermischt: in den Differenzen zwischen Interview und hineingeschnittenen Szenen über Bartlebys Erscheinen in der Grafikdesign-Firma. Sie habe, wie die Firmenmitarbeiterin dem Journalisten erklärt, zum besseren Verständnis des dort Vorgefallenen einige Szenen nachspielen lassen. Was man nun aber als Zuschauer/in präsentiert bekommt, deutet darauf hin, dass hier ein ganz anderer Subtext Regie führt: Aussagen der Firmenmitarbeiter/innen über moderne Unternehmenskultur, über Teamwork, Mitspracherecht et cetera, die sich mit Schwenks auf tägliche Kompensationsrituale in der Firmenküche und andere Marotten der Angestellten vermischen. Die Kamera wandert, unterstützt von Kommentaren der Erzählerin, vom Empfangsbereich der Firma durch die Arbeitsräume bis in die Küche. Auf dem Weg sieht man Angestellte, die damit beschäftigt sind, Topfpflanzen hin- und herzutragen, man entdeckt Zettel auf Joghurtbechern, auf denen "meins" steht oder jemanden, der ein Sahnetörtchen eigenmächtig umgarniert.

Wie in Melvilles 1853 geschriebener Erzählung, die sich als Parabel auf den bürokratischen Kapitalismus US-amerikanischer Prägung lesen lässt, verlagert sich die Handlung bei Hopf auf Details: von der genauen Beschreibung der Firma über die Verwirrung, die Bartlebys Auftauchen auslöst, bis hin zu bizarren Verhaltensweisen der Angestellten, die wie bei Melville die Ineffizienz des bürokratisierten Arbeitsalltags verkörpern. Dieser Punkt stellt allerdings einen entscheidenden Unterschied zur literarischen Vorlage dar. Während sich Melvilles Anwalt aufgrund einer Mischung von karitativer Selbstgefälligkeit und liberalem Humanismus mit tageszeitlich bedingten Arbeitsunfähigkeiten[3] seiner Angestellten arrangiert, macht Hopfs Erzählerin kein Aufhebens von diesen Ausfällen. Der Schauplatz ihrer Geschichte, ein junges Medienunternehmen mit moderner Arbeitsphilosophie im Sinne flacher Hierarchien, Teamwork und Mitspracherecht steht in dieser Hinsicht für eine Verschiebung. Es scheint durchaus ins Bild der Firma zu passen, dass sich die Angestellten unkonventionell benehmen. Dadurch dass die nachgespielten Szenen mit Bartleby in Form einer Fernsehreportage präsentiert werden, gewinnt man den Eindruck, dass die Bilder nicht zuletzt die Funktion haben, ein "etwas anderes" Image der Firma zu repräsentieren. Ohne jeden weiteren Kommentar sind absurde, irrationale Momente eines Arbeitsalltags zu beobachten, was die Vermutung nahe legt, dass sie der Produktivitätsberechnung der Firma entsprechen: Hier scheint alles auf den "Menschen" in der/im Angestellten anzukommen. Diesen "Menschen" stellt Bartleby jedoch nicht zur Verfügung. Er stiehlt sich aus seinem Status als Mitmensch schon allein durch sein Äußeres heraus. So charakterisiert ihn Melvilles Erzähler als "bläßlich sauber, bemitleidenswert korrekt, unrettbar einsam", als einen, der "still, bleich, mechanisch (...) vor sich hinschrieb".[4] Das in der Verfilmung eingespielte Einstellungsgespräch, das drei jeweils von Judith Hopf dargestellte Firmenmitarbeiterinnen mit Bartleby führen, zeigt ihn als Zuhörer, der keine Fragen stellt. Indem sich die drei Angestellten um eine Antwort auf ihre kollegialen Hinweise, wie man den Job gut hinbekommt, bemühen, wird ersichtlich, wer in der Firma den Ton angibt. Die Dominanz der Ich-Erzählerin überrascht kaum und auch nicht die Entdeckung, dass es keines Vorgesetzten bedarf, um die "innere" Kontrollfunktion der Firma sicherzustellen. Anders als bei Melville ist es nicht mehr der Arbeitgeber, der sich für die Motivation des neuen Mitarbeiters zuständig zeigt, sondern das Kolleg/innenteam. Gemäß der literarischen Vorlage gerät jedoch dieses Kontrollsystem bald ins Wanken. Nachdem Bartleby seine Arbeit zunächst etwas zu gut erledigt - er arbeitet pausenlos -, schlägt er eines Tages einen und von da an in notorischer Regelmäßigkeit jeden Arbeitsauftrag mit einem "I would prefer not to ..." aus. Das zunehmende Gefühl des Kontrollverlusts, von dem die Erzählerin dem Interviewer berichtet, gipfelt in der zufälligen Entdeckung, dass sich Bartleby in der Firma häuslich eingerichtet hat. Die Integration des "ganzen" Mitarbeiters - ein humanistischer Euphemismus für die optimierte Abschöpfung seiner Arbeitskraft-Ressourcen - hat offenkundig zurückgeschlagen: Bartleby ist aus der Firma nicht mehr wegzubewegen, was in Melvilles Erzählung dazu führt, dass der Anwalt schließlich auszieht und sich eine neue Kanzlei sucht.[5] In Hopfs Version bleibt die Frage, wer gehen muss, offen.

Die Verfilmung situiert Bartleby innerhalb des Systems, das ihn als Außenseiter betrachtet. Während in Melvilles Erzählung Bartlebys Pragmatismus der inhärente Gegenpart des kapitalistischen Bürokratismus verkörpert, bringt seine Formel in Hopfs Version die Paradoxie des Neoliberalismus auf den Punkt: "Arbeit" ist hier im Wesentlichen ersetzt durch die Erwartung einer Produktionsabsicht. Egal, ob sie gebraucht wird, ob sie sinnvoll ist oder nicht, muss sie jeden Tag erneuert werden, damit die Anzapfbarkeit von Arbeitskraft gewährleistet bleibt. Eine solche Paradoxie ist nicht - wie Hopfs Ich-Erzählerin demonstriert - über Repression durchzusetzen, sondern über Motivation. Dieser Form der gesteuerten Wunschproduktion entzieht sich Hopfs Bartleby, und damit auch der erwarteten Bereitschaft, sich freiwillig der Kontrolle zu unterwerfen.

Bartlebys unabgeschlossene Formel "I would prefer not to ..." schließt die Möglichkeit, sich eine Produktionsabsicht von einem "wohlwollenden Freund", von einem "aufrichtigen Menschen" oder einem "Arbeitgeber" suggerieren zu lassen, aus. Ohne "Produktionsabsicht" jedoch scheint es im Sinne der kapitalistischen Logik kein volles Subjekt zu geben. Bartleby ist nicht einmal mehr der unauffällige Angestellte, der "bleich und mechanisch" seine Arbeit erledigt. So verzichtet er in Hopfs Version darauf, die Kopiermaschinen zu betätigen. Da das Prinzip "Bartleby" in einer kapitalistischen Subjektlogik nicht vorkommen kann, muss er von denen, die ihr eigenes Bartleby-Sein nicht wahrnehmen können, erfunden werden: als ein Medium zur Selbstdarstellung seiner Umgebung. Seine Form der Selbstwahrnehmung als Subjekt bleibt ein ungelöstes Darstellungsproblem für die Ich-Erzählerin. In dem Maße, wie sie Bartlebys Formel zitiert, um sie der Sinnkonstruktion ihrer Erzählung einzuverleiben, werden ihr die Voraussetzungen dazu entzogen. Wie bei Melville führt die mehr und mehr um sich selbst kreisende Darstellung des/der Ich-Erzähler/Erzählerin dazu, dass der/die Leser/in im Verlauf der Geschichte zunehmend an ihrer Stichhaltigkeit zweifelt: Hopf zieht die Zuschauer/innen auf einen schwankenden Boden, der ihrer auktorialen Erzählung inhärent ist. Aber es ist nicht nur die Rätselhaftigkeit der Erzählung, die die Zuschauer/innen zu entschlüsseln haben. Bartlebys erklärungsloses "I would prefer not to ..." entspricht auf der Seite der Ich-Erzählerin einer überbordenden Sprachlichkeit, die - wie das Gespräch mit dem Journalisten zeigt - eine Leidenschaft für kommunikative "Lösungen" verrät. Das zwischen den beiden thematisierte Problem, ob und wie man ein Phänomen richtig beobachten und beschreiben kann, lässt das "auktoriale Material", aus dem sich die Geschichte konstruiert, hinter das Moment der Kommunikation zurücktreten.

Judith Hopfs Rückgriff auf Melvilles Technik der Narration kann als exemplarisch für ihre künstlerische Vorgehensweise angesehen werden. Ihre "Bartleby"-Verfilmung macht deutlich, wie sie die "Ich-Erzählung" als Material und Resultat eines projektiven Dialogs aufgreift: Jene Entschärfung der Sprechakte, von der bei Deleuze die Rede war, erfasst die auktoriale Macht, die im Laufe der Erzählung zunehmend poröser wird. Dass dem "Ich" der Bartleby'schen Formel entgegengestellte Erzähler/innen-Ich konstruiert sich als das Gegenüber eines "leeren Mediums", wofür Bartleby ganz offenkundig herhält - es bleibt somit auf eigentümliche Weise unautorisiert. Dass die Funktion der Leerstelle darin besteht, genau von jener Erzählung gefüllt zu werden, die sie erzeugte, pointiert Judith Hopf, indem sie mit ihrer Verfilmung in die Rolle der exemplarischen Deuterin der Melville'schen Geschichte schlüpft: An die Stelle des auktorialen Subjekts tritt ein unentwirrbares Geflecht von vermittelter und vermittelnder Kommunikationstätigkeit.

Auf diese Weise trifft sich Bartlebys Formel mit der ideellen "Entschärfung" der Autorposition, die Marcel Duchamp mit seinem 1957 verfassten Text "The Creative Act" vorgenommen hat. Duchamp bestimmte darin das künstlerische Subjekt als ein "mediumistisches Wesen", dessen Werk erst im Zurücktreten des Künstlers von der auktorialen Aufsicht über den Produktionsprozeß entstehen könne.[6] Ein Werk werde erst dann Realität, wenn sich ein/e oder mehrere Betrachter/innen am Interpretationsprozess beteiligten.[7] Duchamp schränkte damit die Bedeutung der künstlerischen Produktionsabsicht ein und sah die wesentliche Funktion eines künstlerischen Werks darin, Ideen zu kommunizieren. Auf die Rolle des "mediumistischen Wesens" reduziert konnte er so das Künstlersubjekt von dem Mythos "befreien", Träger/in einer vollständigen Bewusstseinsleistung zu sein.

Die Künstlerin Judith Hopf fügt dem "mediumistischen Wesen" durch ihre Interpretation der Bartleby-Figur eine weitere Facette hinzu. Mit dem Prinzip "Bartleby" wählte sie ein Erzählverfahren, das die Vorgängigkeit der Produktionsabsicht und die Nachträglichkeit des Vermittlungsprozesses gegeneinander austauschte, um Letzteres zum Ausgangsmaterial künstlerischer Produktion zu machen. Der Effekt von Bartlebys Formel, die Erosion einer Sinn konstruierenden Erzählabsicht, trifft sich so mit dem Werkverständnis des "mediumistischen Wesens".

Auch in anderen Arbeiten Judith Hopfs ist die Berufsrolle des Künstlers/der Künstlerin als "mediumistisches Wesen" Thema, wobei die "öffentliche Verhandlung"[8] gesellschaftlicher Fragestellungen als künstlerisches Problem eine kritische Auseinandersetzung mit den Hinterlassenschaften des "mediumistischen Wesens" impliziert. Duchamps Verständnis vom Künstlertum evoziert - wie die verschiedenen Phasen seiner Rezeption durch Künstler/innen von der Pop bis zur Conceptual Art und ihren Epigon/innen zeigen - nicht nur alle möglichen Remythisierungen, sondern entspricht den oft bemerkten Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst, den (spät)kapitalistischen Anforderungen nach Vermittlungs-, Informations- und Kommunikationsleistungen (bei gleichzeitiger Abwertung des bloß "Produktiven") nachzukommen. An die Stelle konkurrenzbedingter (Selbst-)Zuschreibungen von Produktionsleistungen oder ihrer eifersüchtigen Aberkennung treten unter diesen Umständen Macht- und Profitverhältnisse in einem unentwirrbaren Kontinuum vermittelnder und vermittelter Tätigkeiten.

 

II. "Ich kann Firmen nicht ausstehen"[9]

Wer sich wie Judith Hopf Mitte der neunziger Jahre als Akademieabsolvent/in dazu entschlossen hatte, den Kunstbereich so zu betreten, als handele es sich dabei um ein soziales Handlungsfeld (was zu diesem Zeitpunkt keineswegs Konsens war), hatte sich deswegen nicht automatisch von der "Ökonomie des Ateliers" verabschiedet. Auch wenn ein Atelier die Voraussetzung dafür schafft, eine künstlerische Produktion in Abgrenzung zu anderen Ökonomien definieren zu können, ist sie bei Hopf kaum getrennt von einer "ausfransenden" Produktivität zu sehen, die sich zwischen Plattenauflegen, Bildschirmjobs und kollektiven Ausstellungs-, Musik- und Filmprojekten abspielt. Ihre Entscheidung, "Bartleby" im Rahmen von "Theoretisches Fernsehen"[10] zu produzieren, ist ein Beispiel für eine solche Ökonomie. Die Rollen, die Katrin Pesch, Ulrich Heinke, Marion von Osten, Florian Zeyfang und Stephan Geene in dem Film übernehmen, sind ein Echo auf ein Umfeld, in dem die Beschäftigung mit "neuen Arbeitsökonomien" eine Auseinandersetzung mit den Dialektiken selbst organisierter Produktionskollektive ausgelöst hatte. Aber auch ohne Informationen über seinen Entstehungshintergrund macht Hopfs Film deutlich, dass er auf genau beobachteter Kommunikation beruht: In Anlehnung an Melvilles Pragmatismus kommuniziert sie "Literatur" in einer Sprache, der man förmlich "zusehen" kann, indem sie die Phänomene, über die sie spricht, in eine Bildbeschreibung transformiert. Die konstitutive Ausnahme bildet die "agrammatikalische Formel"[11] Bartlebys, die ein Moment der Unterbrechung innerhalb eines totalisierenden Produktionszwangs impliziert, von dem selbst organisierte Projekte nicht weniger betroffen sind als postfordistische Unternehmen: Eine Ökonomie, die einen Zustand des ständigen Zur-Verfügung-Stehens, des permanenten Anzapfens anderer und des eigenen Angezapftwerdens beschreibt. Akzeptiert man, wie Hopfs "Bartleby" nahe legt, diesen Zustand als einen alltäglichen, der nicht zuletzt die "Ökonomie des Ateliers" reguliert, so formuliert sich in ihm die Notwendigkeit, die Dialektiken des "mediumistischen Wesens" neu zu verhandeln.

 

III. Immer eine Dame im Mittelpunkt

Als Judith Hopf 1996 auf die Idee kam, "Salons" zu initiieren, zu denen sie in den folgenden zwei Jahren und in unregelmäßigen Abständen Frauen aus dem Kunst-, Musik- und Modedesignbereich einlud, basierte dies auf der Beobachtung, dass besagte ausfransende Produktivität künstlerischer Akteur/innen zwischen Selbstorganisation, Ausstellungs- und Galeriebetrieb keine wesentlichen Veränderungen geschlechtsspezifischer Produktions- und Repräsentationsverhältnisse mit sich gebracht hatte. Im Gegenteil: Der flexibilisierte Produzent ist, wenn man seine Karrierewege innerhalb des Berliner und des überregionalen Kunstgeschehens verfolgt, immer noch (und mit einigem Aufwind) individuell, durch nationale Herkunft gekennzeichnet und männlichen Geschlechts. Die Salons resultierten aus der Erfahrung, dass "mediumistische" Aktivitäten von Produzentinnen kaum die Chance haben, längerfristig "Öffentlichkeit" zu bekommen. Die Salons fungierten daher, wie Judith Hopf selbst es formulierte, als ein "leeres Zentrum", das Auseinandersetzungen und Situationen ermöglichen sollte, die sich in einer Logik des Kunstbetriebs nicht "zentralisieren" lassen. Ein Beispiel war die auf Video produzierte Game Show "Spooky ABC"[12], in der die Künstlerin Natascha Sadr-Haghighian und Judith Hopf als Moderatorinnen auftraten. Der Skala eines Chartsystems folgend, ließen die beiden Künstlerinnen einschlägiges Vokabular durch ein Leuchtschriftgerät laufen, unter dem Buchstaben "P" Begriffe wie Performance, Praxis, Produktion, Prozess. "Spooky ABC" setzte eine Auseinandersetzung mit einer Politik der Begriffe in Gang - Begriffe, die zu Konsens- und Identitätsformeln geworden waren. So bestand der "Mediumismus" der Salons darin, "Fragestellungen" auszuhandeln, die ein öffentliches Gegenüber erst adressierbar machen. Bezogen auf den Kunstbetrieb, aber auch bezogen auf selbst organisierte Produktionskontexte, thematisierten die Salons aufgrund ihrer offenkundigen Marginalität das Phänomen des (un)ausgesprochenen (Selbst-)Ausschlusses von Produzentinnen. Die Salons brachten eine Option ins Spiel, die Judith Hopf in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Starship als "Tales of Stupidity" deklarierte: die Option, sich "zu entkoppeln", um angestrebte "Veränderungen durchsetzen" zu können. Anstatt sich auf bestehende Formen zu fixieren, gehe es darum, erst einmal "Platz zu machen".[13] Mit dem invertierten Mediumismus à la Bartleby fügt Hopf ihren "Tales of Stupiditiy" eine weitere Erzählung darüber hinzu, was es bedeuten könnte, sich zu "entkoppeln", ohne sich freiwillig selbst auszuschließen. Denn vor die Alternative gestellt, seine Arbeitsaufträge zu erledigen oder aber gekündigt zu werden, verweigert sich Bartleby auch diesem Dilemma. So entschieden wie seine Weigerung, die geforderte Mitarbeit zu leisten, ist auch seine Weigerung, hinauskomplimentiert zu werden. Auf den moderaten Vorschlag, doch in ein anderes berufliches Betätigungsfeld zu wechseln, reagiert Bartleby ausnahmsweise fast redselig: "No; I would prefer not to make any change" oder "I would not like it at all; though, as I said before, I am not particular." Anstatt sich als "ein besonderer Fall"[14] abtun zu lassen, was sein Verschwinden legitimieren könnte (und womit seine Geste der Weigerung automatisch gelöscht wäre), zieht Bartleby es vor, seinen Arbeitsplatz überhaupt nicht mehr zu verlassen. Wollte man Bartlebys Formel auf die künstlerische oder politische Geste der Verweigerung übertragen, so wäre damit eine Möglichkeit angedeutet, sich der üblichen Alternative von Mitmachen oder Selbstausschluss zu entziehen: Sie handelt in einem paradoxalen Sinn davon, einfach da zu sein und da zu bleiben.

 

IV. I am not particular ...

Die Zuweisung von Besonderheiten hat bekanntlich widersprüchliche Implikationen: Was für die einen bedeuten kann, vorzukommen und gefördert zu werden, heißt für andere, gar nicht erst aufzutauchen oder wieder zu verschwinden, ohne etwa von irgendjemand gekündigt worden zu sein. Dennoch ist der Hinweis auf die "Unwichtigkeit" ästhetischer Qualitätskriterien innerhalb eines pluralistischen Kunstbetriebs überflüssig, ist doch ihre "ästhetisch" vermittelte Unter- oder Überbietung Bestandteil sozialer und symbolischer Distinktionsprozesse. "Emptiness"(1997), eine Installation Judith Hopfs in der Berliner "Ladengalerie" des Künstlers Gunnar Reski, war der Versuch, genau diese Grundbedingung in die Verhandlung über virulente Ausstellungskonventionen zu überführen. Aus einem mit Watte eingefassten Zuflussrohr, das die Künstlerin eigens an der Decke der Galerie installierte, hatte "es" in den Ausstellungsraum geregnet. Das Wasser konnte durch eine mit Schwimmbad-grüner Plastikfolie ausgekleidete Rinne, ebenfalls extra eingebaut, wieder ablaufen. Der Raum, ein nicht gerade makelloser White Cube mit großer Fensterfront, war genau in dem Zustand belassen worden, in dem Judith Hopf ihn vorgefunden hatte: mit Löchern in den Wänden und schlecht überstrichenen Stellen. Der Regen, der nur in einer Raumecke durch die Decke kam, bildete einen verschobenen Mittelpunkt, was dem Ausstellungsraum insgesamt etwas Undefiniertes gab. Allerdings bewirkte das in sich bewegte Bild des Regens, dass die räumlichen Koordinaten - Wand, Boden, Decke - die Funktion eines Bildrahmens erhielten. Die Perspektive, die man von der Straße aus durch das Frontfenster auf den Raum erhielt, konnte den Eindruck vemitteln, es handele sich bei der Regeninstallation um eine angedeutete Filmkulisse. Im Raum selbst wurde dieser Eindruck jedoch wieder relativiert, da der Regen eine Art Plätschersound erzeugte, der - ähnlich wie bei Zierspringbrunnen in Restaurants oder Shopping Centers - dazu da ist, beiläufig die Aufmerksamkeit der Gäste und Kund/innen auf sich zu ziehen. Gleichzeitig genügte eine Situation, in der sich das sichtbare Material auf Wasser, Watte und Plastikfolie beschränkte, um die Aufmerksamkeit auf die spezifische Medialität der Installation zu richten. In dem Moment, in dem man sich mit anderen Besucher/innen in dem Raum aufhielt, konnte man auf die Idee kommen, dass es sich hierbei um ein nicht-technisches Kommunikationsmedium handelte: Man stand um den Regen herum wie sich man sonst um ein Lagerfeuer schart. Der Umstand, dass der Raum normalerweise keinen Wasseranschluss hat und Judith Hopf daher eine Wasserleitung verlegen musste, verlieh der Situation zunächst etwas Profanes. "Emptiness" ließ sich weder im Sinne einer Fiktionalisierung des Sichtbaren noch im Sinne einer Materialisierung des Unsichtbaren festlegen, obwohl die Situation etwas "Unwirkliches" verströmte. Man hätte nämlich genauso gut schlussfolgern können, dass hier mit laienhaftem handwerklichen Geschick im geschlossenen Raum eine Naturerscheinung suggeriert wurde, wie man sie aus Wundererzählungen kennt. Da das Spirituelle des Wassers als Inbegriff des "sublimen Mediums" in offenkundiger Konkurrenz zur Trashigkeit des Zu- und Abflusses stand, stellte sich unwillkürlich die Frage, welche ästhetischen "Raumlösungen" hier angedeutet bzw. welche ausgelassen worden waren. Genau an dieser Frage manifestierte sich eine Leerstelle, in der abwesende Ausstellungskonventionen in Erscheinung traten. Man hätte ebenso Anzeichen für eine negative Wiederaneingung des White Cube ausmachen können. Auch ohne Deko-Elemente konnte man einen fernen Hinweis auf "Club"- oder "Ambient"-Räume erkennen. Gleichzeitig veranlasste die ausgesprochen profane Methode, mit der hier ein metaphorisch aufgeladenes Medium durch den Raum geleitet wurde, dazu, den leeren Ausstellungscontainer hinsichtlich des verbliebenen ästhetischen und sozialen "Inhalts" zu befragen. Im Unterschied zu institutionskritischen Konzeptionen, an die man sich hätte erinnert fühlen können, deutete nichts auf eine Akzentuierung der Wahrnehmungspräsenz des Raums und seiner materiellen Implikationen hin. Das mit sich selbst Beschäftigte des fließenden Wassers warf vielmehr die Frage danach auf, was mit dem Raum nicht getan worden war. Der Verneinungsstruktur des "I would not prefer to ..." ähnlich implizierte "Emptiness" einen Inhalt, den der Ausstellungsraum nicht enthielt, der aber gleichwohl als ausgeschlagene "Anweisung" virulent war. Die Installation war nicht "(orts-)spezifisch", obgleich sie den Ort in ein mit sich selbst beschäfigtes Medium transformiert hatte. Danach gefragt, worin die Funktion dieses Mediums bestand, hätte man kaum mit einem "um zu ..." antworten können, sondern lediglich damit, dass "es" regnete. Bartlebys "I" vergleichbar wurde hier ein sächliches Personalpronomen als das Gegenüber eines negativ definierten Aussagezusammenhangs konstruiert. Klaus Heinrich weist in einer seiner psychoanalytischen Sprachstudien auf die Implikationen dieses Pronomens hin: " (...) dieses Wort mit einem umgangsprachlich selber sehr diffusen Sinn, der bis ins Großartige, sagen wir, Kryptodämonische oder Kryptogöttliche gesteigert sein kann, in Fomulierungen wie ,Es donnert', ,Es blitzt', ,Es regnet'(...), wo also das Impersonale die Personalia vertritt, die man ungestraft nicht nennen darf und nach einiger Zeit ohne Peinlichkeit nicht mehr nennen kann, so dass es dann in der Sprache zu einer eigenen syntaktisch-grammatikalischen Unbestimmtheitsform werden wird."[15]

Die durch einen spärlichen Regen ausgelöste "Unbestimmtheitsform" des Ortsspezifischen von "Emptiness" ließ sich als die ästhetische Unterbietung einer "sozialen Leerheit" betrachten, von deren Spiritualität Brian O'Dohertys "Betrachter" in "Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space" berichtet.[16] Von dieser Warte aus betrachtet nahm "Emptiness" eine sozialgeschichtliche Fragestellung wieder auf, die in der Wiederkehr des White Cube augenfälligerweise übersprungen wurde. Als "abwesender Kontext" drängten sich vor allem clubszene-nahe Galerien und Ausstellungsinstitutionen auf, die es Mitte der neunziger Jahre in Abgrenzung zur Partykultur in Pop-Art-ähnlichen und minimalistischen Wohlfühlambientes vorzogen, den ästhetischen, aber auch den sozialen Code des White Cube wiederzubeleben. Nicht zuletzt markierte die Unbestimmtheitsform von "Emptiness" auch die fehlenden "Einrichtungsgegenstände" kulturwissenschaftlich orientierter Themenausstellungen - ein Aspekt, der 1997 von besonderer Bedeutung für die Diskussion um die Vermittlungsprobleme einer "unrepräsentationistischen" Ästhetik war.[17]

In dieser Warte fungiert der Raumregen nicht als eine "isolierte Idee", die sich, wie Robert Smithson einst mit einem Seitenhieb auf seine konzeptualistischen Künstlerkolleg/innen schrieb, im metaphysischen Container einer Galerie in eine Ware transformiere, die nicht minder ästhetisch sei als jedes andere isolierte Kunstobjekt auch. "Emptiness" kann vielmehr wie eine "mediumistische" Neuverhandlung unhintergehbarer (Selbst-)Anweisungen und vorgegebener Adressierungen verstanden werden. Von der Durchlässigkeit der "Naturerscheinungen im geschlossenen Raum" handelt eine Gedichtzeile Jeredith Merrins: "Rain is a cage you can walk through"[18] - und der Gedanke, dass ein solcher Regen jede/n treffen kann, vermutlich aber nicht jede/n treffen wird, stammt von E.E. Cummings: "Rain is no respecter of persons and the snow doesn't give a soft white damn whom it touches."[19] Zumindest diese Eigenschaft ließe sich auch Bartleby zuschreiben.

 

V. Schafe zählen

In einer ihrer jüngsten Arbeiten fügt Judith Hopf ihren "Tales of Stupidity" schließlich mit einer Tierskulptur noch ein ganz anderes "Naturgenre" hinzu. Präsentiert 1999 in der Berliner Messe-Koje von Gunnar Reski entspricht die "Ruinenlandschaft" betitelte Arbeit allen formalen Kriterien einer autonomen Skulptur: Aus Pappe geschnitten steht ein Schaf mit den Vorderbeinen auf dem Boden, während seine Hinterbeine auf einem niedrigen Styroporsockel befestigt sind. Auf dem Sockel selbst steht aufrecht eine schmale Glasscheibe, die mit leichter Neinung an die Wand gelehnt ist; hinter dem Sockel befindet sich eine weitere, halbhohe Glasscheibe vor der Wand. Während die vordere Scheibe mit Backsteinimitaten aus Alufolie beklebt ist, finden sich auf der hinteren mit blauen Klebeband aufgebrachte Fugen. Der auf diese Weise entstandene, zwischen Zwei- und Dreidimensionalität changierende optische Effekt wird durch das zwischen die Scheiben gestellte Hinterteil des Schafs wieder herabgesetzt: Aus dieser Perspektive transformierte sich die Skulptur in ein zweidimensionales Bild hinter Glas. Lediglich durch seine äußeren Konturen als Schaf erkennbar, operiert es ähnlich wie "Emptiness" mit buchstäblicher Bildhaftigkeit. Als Symbol für "Dummheit", "Herdentiere" oder auch "nützliche Wesen" repräsentiert das Schaf das Gegenteil einer "heiligen Kuh", da es gerade nicht dazu provoziert, geschlachtet zu werden. Dieses profane Schicksal wurde jedoch durch einen sprachlichen und formal-ästhetischen Eingriff sofort wieder transformiert: Im Titel und durch die Backsteinimitate angedeutet, sind die Skulpturelemente zu einer "Ruinenlandschaft" zusammengefügt, jedoch ohne die affektive Wirkung von Erinnerungsästhetik, die etwa vergangene, paradiesische Zeiten heraufbeschwört.

Wer sich als Besucher/in des Artforum zwischen dem Messezentrum und dem neuen Galerienviertel in Berlin-Mitte bewegt, wird die Bedeutung feststellen können, die Ruinenästhetik für das Image einer Stadt spielt, in der alles auf "moderne Kulturmetropole" getrimmt wird. Damit korrespondiert der Anspruch des "Neuen", dem eine "junge" Kunstszene gerecht zu werden hat, wenn sie im Kontext einer "jungen" Kunstmesse wahrgenommen werden will. In diesem Sinne konterkarierte die "Ruinenlandschaft" die unternehmerische Formel, nach der man erst das Neue erfinden muss, um überhaupt etwas erfinden zu können: Was aber sollte das sein, wenn das so genannte Neue immer mit und in den Kategorien des Bestehenden definiert werden muss? Auch wenn in der - von heute aus gesehen bereits entrückten - Zeit der historischen Postmoderne Künstler/innen die Strategien von Zitat, Fake und Appropriation der Ideologie des Neuen entgegenhielten, hatten sie damit noch keineswegs den Bedarf des Markts nach Innovation aus der Welt geschafft. Aber sie gingen mit diesen Bedingungen um.
Das Schaf, gerahmt von zwei Glasscheiben, vereinigte ebenso wie der Käfig aus Regen die kommerzielle Funktion von Innovationsästhetik mit Referenzen auf eine nostalgische Avantgarde: Die Frage, ob es an seinem Auftritt auf der Berliner Kunstmesse lag, dass das Schaf die stets drohende Zentralanrufung "neue Kunst von jungen deutschen Künstler/innen" mit einem Schritt ins Absurde beantwortete, wäre, wenn man an "Bartleby" denkt, zu ortspezifisch beantwortet. Denn dann hätte die "Ruinenlandschaft" die ihr eigene "mediumistische" Subtilität als einen besonderen Fall verschenkt.


(Mit besonderem Dank an Mona Rinck)


Anmerkungen

[1] Gilles Deleuze, Bartleby oder die Formel, Berlin 1994.
[2] Vgl. ebd., S.20.
[3] So erzählt der Anwalt, dass seine Angestellten, die so bezeichnende Spitznamen wie "Turkey", "Nippers" und "Ginger Nut" tragen, gemäß ihres Alters und Temperaments nur zu bestimmten Tageszeiten arbeitsfähig seien.
[4] Vgl. Herman Melville, Bartleby, der Schreiber. Eine Geschiche aus der Wall Street, Berlin 1997, S.21 u. 23.
[5] Sein Nachmieter sorgt jedoch dafür, dass Bartleby im Gefängnis landet, wo er mangels Nahrungsaufnahme stirbt.
[6] "Allem Anschein nach handelt der Künstler wie ein mediumistisches Wesen, das aus dem Labyrinth jenseits von Raum und Zeit seinen Weg zu einer Lichtung sucht (...) Ich weiß, dass diese Ansicht die Zustimmung mancher Künstler nicht erhalten wird, die diese mediumistische Rolle zurückweisen und auf der Gültigkeit ihres vollen Bewußtseins beim kreativen Akt beharren (...)" Duchamp spielte damit, wie sein Biograf Calvin Tomkins zitiert, den Unterschied zwischen dem "Unausgedrückten-aber-Beabsichtigten und dem Unabsichtlich-Ausgedrückten" an. Tomkins schreibt weiter, dass "der Zuschauer" gemäß Duchamp die Rolle habe, "sich in diese Lücke zu begeben und, indem er interpretiert, was er sieht, den Prozeß zu vollenden, den der Künstler in Gang gesetzt hat". Für Duchamps Worterfindung liefert Tomkins folgende Erklärung: "Indem Duchamp den Künstler zu einem ,mediumistischen' Wesen reduziert und den Betrachter zu einem virtuellen Teilnehmer am schöpferischen Prozeß werden lässt, macht er offenbar den aufgeblasenen Ansprüchen der Abstrakten Expressionisten eine lange Nase, von denen einige die Neigung hatten, sich wie Hohepriester einer neuen Religion zu verlautbaren." Vgl. Calvin Tomkins, Marcel Duchamp. Eine Biographie, München/Wien 1999, S.461f.
[7] Tomkins bemerkt, dass es nach Auffassung Duchamps "so etwas wie ein unbekanntes Meisterwerk gar nicht geben könne". Vgl. Tomkins, a.a.O., S.461.
[8] Ein Begriff, den Judith Hopf häufig benutzt.
[9] Titel eines Musikstücks, das Judith Hopf mit Jesko Fezer produziert hat.
[10] Bei "Theoretisches Fernsehen" handelt es sich um eine lose Folge von Videofilmen, die von verschiedenen Künstler/innen und Autor/innen produziert wurden.
[11] Deleuze definiert eine "agrammatikalische Formulierung" als eine "Anomalie" bzw. "Atypie", welcher die "Grenze einer Serie korrekter Ausdrücke" entspreche, also die Grenze einer ansonsten "normalen Konstruktion". Deleuze fragt, ob "nicht auch die Formel Bartlebys zu diesem Typus" zähle, "gleichzeitig Stereotyp Bartlebys selbst und höchst poetischer Ausdruck Melvilles, Grenze einer Serie wie ,Ich möchte lieber dies, ich möchte das lieber nicht tun, gerade das möchte ich lieber nicht? '" Zit. n. Deleuze, a.a.O., S.9f.
[12] In Anlehung an die im französischen Fernsehen gesendete Reihe "L'Abécédaire" mit Claire Parnet und Gilles Deleuze.
[13] Judith Hopf, "Tales of Stupidity", in Starship, Nr.1, Herbst 1998, S.22.
[14] Vgl. Anm.12, Deleuze, a.a.O., S.9f.
[15] Klaus Heinrich, "arbeiten mit ödipus". Der Begriff der Verdrängung in der Religionswissenschaft (= Dahlemer Vorlesungen, Band 3), Basel u. Frankfurt/M. 1993, S.14.
[16] Brian O'Doherty, In der weißen Zelle. Inside the White Cube, hg. von Wolfgang Kemp, Berlin 1996.
[17] In ihrem Text "Revisiting the White Cube" schreibt Judith Hopf: "Als hartgesottene Gruppenausstellungsreisende, zu der ich in der letzten Zeit geworden bin, stelle ich fest, dass die Distinktion vom White Cube ein wiederkehrendes Motiv der Ausstellungskonzepte ist. Hier wird der White Cube jedoch zu einem sehr dehnbaren Begriff, zu dem sich institutionelle Arbeit bzw. Gruppenarbeit stets als Gegenüber versteht, das sich von der ,herkömmlichen Ausstellungspraxis' unterschieden glaubt, sobald ein oder besser drei DJs da sind, eine Bar, ein Infostand (oder Bibliothek) und eine Kuschelecke eingerichtet ist." Judith Hopf, "Revisiting the White Cube", in: Texte zur Kunst, Nr. 24, November 1996, S.139-141, hier S.139.
[18] Jeredith Merrin, Poems, University of Chicago Press, 1998, S.80
[19] E.E. Cummings, "XIX", in: ders., W [VIVA], London/ Boston 1931, unpaginiert.