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06 2003

Vorschlagselemente für ein solidarisches Arbeitslosenversicherungssystem für LohnempfängerInnen in diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnissen

Précaires Associés de Paris

Übersetzt von Stefan Nowotny

Anstieg der Arbeitslosigkeit (und sogar Fortbestand einer strukturellen Arbeitslosenquote von 9 % selbst in einer Periode des unterstützten Wachstums!), Anstieg der prekären Beschäftigungen: Unbefristete Vollzeitarbeit ist nicht länger die Norm.

Die Beschäftigungspolitiken, die über die Absenkung der Arbeitgeberbeiträge und die vielfältigen Einstellungshilfen die Rückkehr zur Vollbeschäftigung anstrebten, haben nicht die erhofften Effekte gezeitigt. Sie haben weder zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit verholfen noch die Prekarität der Beschäftigungsverhältnisse vermindert; im Gegenteil, sie haben sie begleitet. Die Diskontinuität der Beschäftigungen ist keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. Die dichotome Gegenüberstellung Beschäftigung/Arbeitslosigkeit ist folglich immer weniger relevant, und das Risiko ist das einer Diskontinuität des Einkommens sowie der an den Arbeitnehmerstatus gebundenen Rechte. Je unsicherer die Beschäftigungsverhältnisse werden, desto mehr schrumpfen die Mittel zur Kompensation des Beschäftigungsverlustes und desto mehr Druck wird auf die Individuen ausgeübt: Entfremdung durch Angst.

Im gegenwärtigen Zusammenhang, der – seit nunmehr 30 Jahren – durch die Krise der Vollbeschäftigung, der "Norm" der lebenslangen Vollzeitbeschäftigung bestimmt ist, soll also die einzige denkbare Utopie die einer Rückkehr sein – einer Rückkehr zur Vollbeschäftigung, lebenslang und ganztags. Traurige Utopie, denn man vergisst vielleicht, dass die Krise dieser Norm auch durch vielfältige Fluchtlinien herbeigeführt wurde: durch den Wunsch, der Entfremdung der nicht auszuhaltenden Arbeit in den Fabriken zu entkommen, den Wunsch zu wissen, den Wunsch, autonome Assoziationsformen zu erproben, mobil zu sein, sich in seiner Tätigkeit – als Kooperation und Erfindung – zu entfalten, anstatt sein Leben in einem Lohnverhältnis innerhalb eines Unternehmens einzuschließen, das an unserer statt entscheidet, was und wie zu produzieren ist.

Zwischen den Massenentlassungen (selbst in einer Situation der Unternehmensgewinne!) und der Verallgemeinerung von Teilzeitarbeit, Zeitarbeit und befristeten Beschäftigungen sollen die sozialen Kosten der Arbeitsmarktflexibilität ein nicht mehr tragbares Niveau erreicht haben. Dies werde durch die Defizite der Arbeitslosenkassen (UNEDIC) belegt, die sich den anderen Defiziten (Pensionskassen, Sozialversicherung etc.) hinzufügen und die man uns in ihrer Monstrosität und in der vollkommensten Unverständlichkeit präsentiert, um uns zur Vernunft und Verantwortung zu bringen: Um Reichtum verteilen zu können, muss man ihn erst produziert haben! Arbeitet mehr, arbeitet alle, Junge, Alte, Behinderte – und zwar zu egal welchem Preis!

Ein Wettrennen gegen den Strom der Geschichte: Alle gegenwärtigen Reformen zielen auf die Verlängerung des (Lohn‑)Arbeitslebens, während die Produktivitätszuwächse die notwendige Arbeit unaufhörlich reduzieren. Wer profitiert von diesen Gewinnen? Wer hat sie möglich gemacht? Wer erhält die Dividende auf diesem gemeinsamen Boden der Reichtümer?

Angesichts der "realen" und "virtuellen" Defizite laden uns Regierung und Unternehmerbewegung (MEDEF) zum Schauspiel der Modernisierung des Sozialen ein: Keine Parasiten mehr, keine Untätigen, keine Wahlmöglichkeiten! Verlängerung des Beitragszeitraums für die Pension, Rücknahme der Arbeitslosenrechte, Rückkehr zur aufgezwungenen Arbeit für EmpfängerInnen der Arbeitslosenunterstützung (RMI) bei Subventionierung der ArbeitgeberInnen (Projekt RMA), Reform des Systems der "Intermittents du spectacle". Dies in einem Kontext globaler Politiken, die auf die Zerschlagung öffentlicher Dienste – von der Gesundheit bis zur Bildung und Forschung – abzielen, auf die Reduzierung der Budgets der lebendigen Kultur … Der Minimalstaat Robert Nozicks ist da, und zwar in folgender Inszenierung: dem privaten Sektor die Felder der sozialen und biologischen Reproduktion des Lebens, dem Staat die Verteidigung.

Von der Wohlfahrt zur Workfare/Warfare[1]: Weniger Steuern auf Einkommen und Erbe, mehr Beitragsleistungen (vorzugsweise lohnempfängerseitig)! Der Preis für das Spektakel: Seid kreativ, denn der neue Kapitalismus braucht Erfindungen, seid für jeden Job verfügbar, denn der neue Kapitalismus braucht immer kleine Jobs, um den Luxus seiner wahren NutznießerInnen zu unterhalten, seid arm, denn wenn die Reichen nicht genug verdienen, werdet ihr schlicht und einfach im Elend leben – und der Staat für seinen Teil wird stark sein, um euch gegen den globalen Terrorismus zu verteidigen; um euch gegen das "Andere" zu verteidigen.

Trauriges Schauspiel des Elends und der Angst! Und dennoch – die Angst ist nicht die Triebfeder der Kreation. Keine Schöpfung, keine Erzeugung von Reichtümern ohne ein vorhergehendes Einkommen: Um etwas erschaffen zu können, muss man über ein Einkommen verfügen, die Sicherheit eines kontinuierlichen Einkommens haben.

"Es braucht 500 Pfund Rente und ein Zimmer, dessen Tür mit einem Schloss ausgestattet ist, wenn man ein fiktionales oder poetisches Werk schreiben will"
Virginia Woolf, Ein eigenes Zimmer

 

Das System der Intermittents du spectacle: Besonderheit und Krise, oder Krise einer Besonderheit

Das System der Intermittents du spectacle wird unter dem Druck des MEDEF regelmäßig und ernstlich in Frage gestellt. Aber heute – im Anschluss an die UNEDIC-Abkommen vom 20. Dezember 2002, die die Rechte der Arbeitslosen, die unter die allgemeinen Regelungen fallen, weitreichend erschüttern – ist es mehr denn je frontalen Attacken ausgesetzt, die gefälligerweise von den die Intermittents du spectacle systematisch diskreditierenden Medien weitergetragen werden.

"Wahrnehmbares herzustellen heißt nicht, die Frage zu stellen: 'Welche Art von Kunst wollen wir machen?'; sondern: 'In welcher/n Welt(en) wollen wir leben?'"
Andreas Inglese

Man breitet sich ohne Ende über die "Löchrigkeit" der Intermittents-Regelungen aus, zeigt mit dem Finger auf die angeblichen "Betrüger" und vergisst darüber, in Erwägung zu ziehen, dass die größten Betrüger dieses Systems die größten Beschäftigungsgeber sind (Fernsehen, Produktionsbetriebe), die einen Teil ihrer Lohnkosten auslagern – sie, die den größten Teil der Gewinne machen – und sich von den Auflagen unbefristeter Arbeitsverträge befreien, indem sie dieses System ausbeuten … sie, die Kapitalisten der Kommunikation, sie, die Produzenten der öffentlichen Meinung, sie, die unsere Geister verschmutzen, sie, die das Wahrnehmbare kolonisieren.

Nein, das System der Intermittents du spectacle ist nicht ideal, was wir verlangen, ist nicht die Aufrechterhaltung des Status quo. Die Reform, die wir wollen, muss die Garantie einer Einkommenskontinuität bedeuten, für alle und ohne Bedingungen; dies ist die Vorbedingung dafür, dass sich andere Formen der Kultur, andere Formen künstlerischer Schöpfung, andere Lebensformen, andere mögliche Welten entfalten können.

"Der wahre Missbrauch des Systems ist mit seiner Ungerechtigkeit verbunden, und nicht mit seiner Löchrigkeit."
Valérie Marange

Nein, dieses System ist nicht ideal. Dem Fallbeil von 43 Stempeln oder 507 Stunden unterworfen, kann sich jeder Intermittent du spectacle von einem Tag auf den anderen aus diesem System ausgestoßen finden, was auch immer sein oder ihr Werdegang, Alter, Beruf sein mag. Wir sollten im Übrigen sagen: was auch immer seine oder ihre Berufe sein mögen, denn mehr als eine/r hat gelernt, von dem einen zum anderen überzugehen, aus Neigung, aus Zufall, aus Notwendigkeit. Walzer der Funktionen und Wettlauf um die "Stunden".

Prekäre unter Prekären, exponiert auf den vordersten Rängen des Tagesgeschehens, kann ein Nichts die Beschäftigungsquellen beseitigen, ohne Garantie und ohne Ausgleich. Streichung des Budgets? Politischer Wechsel, der seinen Widerhall in den kulturellen Strukturen findet? Nicht-honorierte Verträge, gestrichene Subventionen, revidierte Programmierung etc. – und man kann zusehen, wie man zu seinen 43 Stempeln kommt.

Nein, dieses System ist nicht ideal, mehr als die Hälfte der LeistungsempfängerInnen bekommen weniger als den Mindestlohn (SMIC), während andere weitestgehend von der Summe ihrer Beihilfen mit ihren Einkünften leben. Die neu eintretenden LeistungsempfängerInnen werden bestraft, die "Rechte" sind nicht immer verlängerbar. Die Vielfalt der möglichen Fälle und Rechtsstellungen zieht über komplexe Umwege große Behandlungsungleichheiten nach sich zwischen jenen, die monatlich bezahlt werden, jenen, die dies nicht werden, und zwischen den beiden Annexen (den Annexen 8 und 10 des französischen Arbeitslosenversicherungssystems; Anm. d. Ü.).

Man entrüstet sich auch über die gestiegene Zahl an LeistungsempfängerInnen, auch wenn anerkannt wird, dass ihr Anwachsen ein Zeichen für die Gesundheit des Sektors ist. Widerspruch oder äußerster Zusammenhang? Das vollkommene Schweigen über den Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen ist nicht verwunderlich. Und wenn der gute Gesundheitszustand des Sektors gerade von der großen und wachsenden Zahl der Anspruchsberechtigten abhinge? Ist es nicht die Garantie einer gewissen Kontinuität des Einkommens, trotz des zeitweiligen Aussetzens der Beschäftigungen, die die Bedingungen der künstlerischen Kreativität, der kulturellen Produktion sicherstellt – als unmittelbar soziale Tätigkeiten, deren Zeiten und Räume jene der Unternehmen und des Arbeitsvertrages weit überschreiten, um sich über die Zeiten und Räume des sozialen Lebens auszubreiten?

"Die Zeit ist Zeugung, oder sie ist schlechthin nichts."
Henri Bergson

Die Annexe 8 und 10 stellen innerhalb des Systems der Arbeitslosenversicherung die Anerkennungsform der Beschäftigungsdiskontinuität dar, die dem Kulturbetrieb inhärent ist, und gewährleisten ein kontinuierliches Einkommen während der Perioden von Arbeitslosigkeit.

Indem ein kontinuierliches Einkommen zwischen Perioden "in Beschäftigung" und "arbeitslosen" Perioden zugesichert wird, erlaubt es das Intermittents-System seinen LeistungsempfängerInnen, zwischen Perioden der "Produktion" – anders gesagt: der warenförmigen Verwertung – sowie Latenzphasen der Entstehung, Ausarbeitungsperioden für persönliche Projekte, Perioden der Bildung, Perfektionierung, Kompetenzausweitung, Arbeitssuche zu wechseln; will heißen, es handelt sich um eine Einkommenskontinuität zwischen zwei unterschiedlichen Arten von Arbeitsperioden, zwischen den Unternehmenszeiten und den Zeiten der kreativen Produktion sowie der Reproduktion der sozialen Bedingungen der Kooperation und der kreativen Vermögen. Die einen werden von den BeschäftigungsgeberInnen vergütet, kadriert, befehligt, "rentabilisiert", die anderen sind selbstverwaltet und bilden die fruchtbarste der Reichtumsmatrizen.

Im assoziativen Leben, in all dem, was außerhalb der Beschäftigung an sozialem Gewebe entsteht, auf der Straße, in den besetzten Häusern, den regelmäßig vom Verschwinden bedrohten gemeinschaftlichen Räumen, den ausgearbeiteten Solidaritäts- und Überlebensstrategien, den Kämpfen und Austauschformen – ereignen sich mannigfaltige Geburten.

Diese Zeit zwischen zwei Beschäftigungen bildet also den Humus der Kreation von "Reichtümern", der für die künstlerische Produktion so notwendig ist: Kreation von Ideen, "unentgeltliche" Erfahrungen, die von jeder merkantilen Vorstellung befreit sind, meist immateriell, nicht messbar, inkommensurabel, nicht quantifizierbar. Es handelt sich um heterogene Zeiten: Sie stärken das individuelle und kollektive kreative Vermögen mehr, als dass sie es schwächen.

Täuschen wir uns nicht darin, dass das Kapital in diesem Nicht-Quantifizierbaren reichlich auf seine Rechnung kommt und diesen ganzen energetischen Atem perfekt zu vereinnahmen weiß.

Was das gegenwärtige System der Intermittents in unseren Augen darstellt und worin zugleich die Hoffnungen begründet sind, die wir in die auf einen Status des/r Lohnempfängers/in mit diskontinuierlicher Beschäftigung zulaufende Entwicklung setzen, ist die Möglichkeit, sich einen von der Beschäftigung entkoppelten Zeitraum wieder anzueignen. Zeit, um schöpferisch zu sein, Zeit, um zu kooperieren, Zeit, um andere mögliche Welten zu erfinden …

Allein die Perspektivenumkehr bezüglich des Verhältnisses ArbeitnehmerIn/ArbeitgeberIn über die Wiederaneignung der Herrschaft über seine ganze Zeit durch das Individuum wird die Entfaltung und Entwicklung neuer Lebenskräfte sowie von Produktionen erlauben, die von den traditionellen warenförmigen Unterwerfungen entbunden sind.

"Eine Diskontinuität ist keine Unterbrechung und noch weniger ein Anhalten, es ist eine Fortsetzung, ein Fortfahren in einem unvorhersehbaren Modus … Ein Intermittent ist ein diskontinuierlicher Arbeiter … Eine Diskontinuität führt, indem sie die Kontinuität bricht, Freiheit in den Ablauf eines Phänomens ein."
Denis Guedj, Mathematiker

Man wirft diesem System sein "spezifisches" Defizit vor. Das Quasi-Verschwinden der Annexe 8 und 10 soll also die Antwort sein, die ins Auge gefasst wird, um es wieder aufzusaugen und das Risiko seiner Nachbildung zu eliminieren. Nun birgt jedoch gerade die Vorstellung eines "spezifischen" Defizits Probleme in sich, denn sie führt einen wesentlichen Widerspruch zum Prinzip eines Arbeitslosenversicherungssystems ein, das Berufsgruppen übergreifend ist und auf der Solidarität zwischen LohnarbeiterInnen beruht.

Das "spezifische" Defizit zu eliminieren bedeutet andererseits aber auch, die Spezifität zu leugnen, die das System der Intermittents begründete: die Anerkennung der diskontinuierlichen Natur der Beschäftigung im Sektor. Die Diskontinuität ist ein Merkmal, das der Natur selbst der Tätigkeit kosubstanziell ist.

In Wirklichkeit ist es das Prinzip der Einkommenskontinuität, das angegriffen wird. Als Abhilfe zur übertriebenen Flexibilität, als Bollwerk gegen die sich festsetzende Ultraliberalisierung, als Brüstung für die von der Beschäftigungsunsicherheit hervorgerufene Angst. Das Quasi-Verschwinden der Annexe 8 und 10 anzupeilen heißt, die Verantwortung für das Verschwinden nicht nur der Intermittents zu übernehmen, sondern auch der Existenzbedingungen einer kulturellen und künstlerischen Tätigkeit, die das gesellschaftliche Leben durchquert, sich von ihm ernährt und es zur gleichen Zeit nährt.

Gleichwohl kann man darin übereinkommen: Die den Kultur- und KunstarbeiterInnen eigene Tätigkeit hat ihre Spezifität zum Teil verloren, und zwar ebenso sehr hinsichtlich der Diskontinuität der Beschäftigungen – die sich fortschreitend auf alle Berufe und Tätigkeitsfelder ausgedehnt hat – wie auch hinsichtlich der Natur der Tätigkeiten selbst. In der Tat implizieren diese mehr und mehr an Erfindungsvermögen und Fähigkeit zur autonomen Kooperation: Zu kommunizieren, zu erfinden, neue Güter mit starkem kulturellem Inhalt zu produzieren ist zur Matrix des Wertes im heutigen Kapitalismus geworden. Die kapitalistische Anhäufung gründet sich nicht mehr allein auf die Ausbeutung von Arbeit im industriellen Sinn des Begriffs, sondern auf die des Wissens, des Lebendigen, der Freizeit, der Kultur, der in den Beziehungen zwischen Individuen liegenden Ressourcen, des Imaginären. Was produziert und verkauft wird, sind nicht nur materielle und immaterielle Güter, sondern Lebens- und Kommunikationsformen, Sozialisations- und Wahrnehmungsstandards … Die künstlerischen und kulturellen Aktivitäten verlieren ihre Spezifität, um zur allgemeinsten Matrize der Produktion von Reichtümern zu werden.

 

Eine Reform für neue, der Beschäftigungsdiskontinuität angepasste Rechte

Die Diskontinuität, die früher allein der Welt des Kulturbetriebs inhärent war, ist zum Los aller geworden, sie gibt der Verkettung der kurzen Zeiten der warenförmigen Verwertung durch die Unternehmen und der langen Zeiten der Produktion von Reichtümern Ausdruck.

Die Flexibilität in den Arbeitsbedingungen entspricht nicht nur einem Prinzip der Lohnkostenzügelung, sie ist grundsätzlicher eine Modalität der Vereinnahmung eines Reichtums, der in Räumen geschaffen wird, die jene der Unternehmen weit überschreiten, in Zeiten, die die Zeit der Vertragsarbeit weit überschreiten. Anders gesagt, die Zeiten des Unternehmens sind nicht mehr als kurze Zeiten der Vereinnahmung eines erzeugten Reichtums, eingeschrieben in die langen Zeiten der Vergemeinschaftung der Wissensformen, der Ideen, der Erkenntnisse, der Informationen, der Neigungen, der Begehrensformen, in die langen Zeiten des Lebens als gesellschaftliches Leben, des Lebens mit anderen, der Erzeugung des Gemeinsamen zusammen mit anderen. In der Diskontinuität/Heterogenität der Zeiten ist die innovative Produktion das Ergebnis der Interaktionen und vielfältigen Kreuzungen von Lebensformen, von Formen des Begehrens zu wissen, des Begehrens zu erschaffen. Die Kooperation geht nicht nur dem Kapital und seinen Unternehmen voraus, sondern sie ist auch innerhalb des Kapitals und des Lohnverhältnisses ohnmächtig. Die Potenz der Kooperation hängt von ihrer Freiheit ab und ihre Freiheit von der Kontinuität – des Einkommens.

"Als nächstes, denke ich, mögen Sie einwenden, dass ich in all dem zu großen Wert auf die Bedeutung materieller Dinge gelegt habe. (…) 'Dies sind schreckliche Tatsachen, aber blicken wir ihnen ins Auge. Fest steht – wie schimpflich es auch für uns als Nation sein mag –, dass durch irgendeinen Fehler in unserem Gemeinwesen der arme Dichter in unserer Zeit, ganz so wie vor zweihundert Jahren, nicht den Hauch einer Chance hat. (…) tatsächlich hat ein armes Kind in England wenig mehr Hoffnung als der Sohn eines athenischen Sklaven, in jene geistige Freiheit entlassen zu werden, aus der große Werke geboren werden.' (…) Das ist es. Die geistige Freiheit hängt von materiellen Dingen ab. Die Dichtkunst hängt von der geistigen Freiheit ab."
Virginia Woolf, Ein eigenes Zimmer

Es gilt das System der Arbeitslosenversicherung zu reformieren, eine Reform für neue Rechte gilt es durchzusetzen, angepasst an die Beschäftigungsdiskontinuität und an die Kontinuität von Kooperation und Kreation. Die intellektuelle Freiheit garantieren.

"Auf der Gesamtheit der Einkünfte soll die Last ruhen, und das ist es, was wir nicht wollen."
René Passet

Das Finanzierungssystem der Arbeitslosenkassen, das auf Beitragszahlungen gründet, wurde zu einer Zeit erdacht, als Arbeitslosigkeit nicht mehr als ein zeitweiliger Zwischenfall war, im Wesentlichen verbunden mit dem Übergang von einer landwirtschaftlich dominierten Ökonomie zu einer industriell dominierten Ökonomie. Einer Zeit, als die Natur selbst der industriellen Entwicklung Perspektiven der Vollbeschäftigung eröffnete, einer Vollzeitbeschäftigung ohne Befristung. Einer Zeit, als die Wiederholung den Sieg über die Innovation davontrug, die materiellen Inhalte die Oberhand über die kulturellen, künstlerischen, immateriellen Inhalte gewannen. In anderen Worten, einer Zeit, als man glauben konnte, dass die Essenz des Reichtums durch die traditionelle industrielle (Lohn‑)Arbeit erzeugt worden war.

Heute hat die Arbeitslosigkeit nichts mehr von einer friktionellen Arbeitslosigkeit, sie stellt sich als strukturelle Komponente des Systems dar, als ein Produkt der technologischen Entwicklung selbst. Wie René Passet (Libération, 21. Mai 2003) hervorhebt, wird sich – unter der (moderaten) Hypothese eines jährlichen Wachstums der Arbeitsproduktivität in Höhe von 1,7 % (Charpin-Bericht) – die Produktion pro ArbeiterIn bis 2040 verdoppeln.

Wir sind die Kinder der "Enkel" der Generation von Keynes. In "Die ökonomischen Möglichkeiten unserer Enkel" entwirft Keynes das Bild einer Periode der "technologischen Arbeitslosigkeit", die von der Entwicklung von Techniken, die die menschliche Arbeit ersetzen, bestimmt ist. Doch diese Periode sei nur eine Periode der Anpassung an eine Gesellschaft, die ihre Ökonomie nicht mehr auf Bedarf und Notwendigkeit gründet. Der Produktivitätsertrag würde nicht mehr aus der Knappheit, sondern aus dem Überfluss hervorgehen. Wir haben Anrecht auf ein kontinuierliches Einkommen, eine Rente, eine soziale Dividende.

Ebenfalls in den 1930er-Jahren entwirft Oscar Lange, ein aus der Erfahrung des real existierenden Sozialismus hervorgegangener Ökonom und Kritiker des Sowjetsystems, eine andere mögliche Form der Resozialisierung der Ökonomie. Nach Oscar Lange vollzieht sich die Resozialisierung der Ökonomie nicht über die Nationalisierung, und sie impliziert eine andere Form der Kollektivierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel: Die Produktivitätszuwächse und wirtschaftlichen Fortschritte sind ein Produkt der sozialen Kooperation, sie sind das Eigentum von allen und begründen so ein Recht für jede/n auf eine "soziale Dividende".

Wie ist die Verteilung dieser "sozialen Dividende" an alle zu finanzieren, wenn wir doch mit den Defiziten der Arbeitslosen- und Pensionskassen konfrontiert sind?

Drei Wege können und müssen verfolgt werden:

1. Die Neubewertung des Bruttoinlandsprodukts (BIP)

Das BIP ist, wenn es das jemals war, kein adäquates Maß des Reichtums mehr. Sein Maß gründet sich noch immer auf die Logik der materiellen Produktion von standardisierten Gütern und auf die vom Industriekapitalismus ererbten Verteilungsnormen. Die OECD hat bereits eine notwendige Neubewertung des BIP vorgeschlagen, die der Qualität des Gesundheitszustands der Bevölkerungen, der Qualität der Behandlungsleistungen Rechnung trägt, aber auch den Ausbildungsniveaus, der Qualität des Bildungssystems, der sozialen und kulturellen Umwelt. Wir sollten nicht vergessen, dass die Resultate dieser Berechnungen bereits die relative Unterentwicklung des französischen sozioökonomischen Systems zutage treten ließen.

Die ÖkonomInnen ihrerseits streichen unablässig die Rolle der positiven Externalitäten für die Performance der Unternehmen hervor. Die positiven Externalitäten, dieser Reichtum, der sich aus der Interaktion freisetzt und über den nicht Buch geführt werden kann, weil er sich den Marktkalkülen entzieht. Sie bilden ebenso viele Wachstumsquellen für das produktive Potenzial des Systems, unentgeltliche Wachstumsquellen des Reichtums, der sich in den Nettogewinnen der Unternehmen ausdrückt, und zwar in dem Maße, wie diese nichts zu bezahlen haben, was sie diese Externalitäten zu vereinnahmen berechtigen würde. Heterogene Reichtümer, nicht warenförmig, nicht messbar, nicht in klingende Münze umgesetzt, durch das Preissystem nicht evaluierbar, vom Standpunkt der Unternehmensbuchhaltung aus unsichtbar sowie nur zum Teil und indirekt im Kalkül des BIP und seiner Entwicklung berücksichtigt. Die Mobilität der ArbeiterInnen, die Heterogenität ihrer Lebenszeiten in und außerhalb des Lohnverhältnisses, die Intensität der Interaktionen im gesellschaftlichen Leben sind die Hauptquelle dieser Externalitäten.

Dennoch aber beruht das Kalkül des BIP auf einer Warenlogik: Die nicht-warenförmigen Reichtümer werden größtenteils nicht berücksichtigt (die Schweiz hat versucht, zu einer Einschätzung des Reichtums zu gelangen, der vom dritten Sektor, assoziativen Aktivitäten etc. geschaffen wird; Ergebnis: dieser Sektor produziert das Äquivalent eines Drittels des offiziellen BIP). In anderen Fällen werden sie als Kostenpunkt betrachtet – so die nicht-warenförmigen Dienstleistungen der Bildung und Ausbildung –, während die liberalen ÖkonomInnen wiederum die ökonomische Figur des Humankapitals in den Wissensökonomien preisen. Wir sind weit davon entfernt, die kollektive Anstrengung um der Verbesserung des kulturellen und sozialen Lebens willen als Investition anerkannt zu sehen!

Es ist also möglich und notwendig, die Berechnungsweisen des BIP zu überdenken, eine Buchführung zu erdenken, die der neuen Natur des Reichtums und seinen Produktionsweisen adäquat ist.

2. Eine Anhebung der Arbeitgeberbeiträge in den kapitalistischen Unternehmen

Die Geschichte von 20 Jahren Beschäftigungspolitik haben uns gelehrt: Die Senkung der Arbeitgeberbeiträge, die Einstellungshilfen, die Senkung der Gewerbesteuern haben keine neue Beschäftigungsdynamik generiert, die der Herausforderung einer strukturellen Arbeitslosenquote von 9 % gerecht würde. Zugleich ist es legitim, sich zu fragen, warum, wenn die sozialen Kosten des technischen Fortschritts von den ArbeiterInnen im Sinne einer radikalen Beschäftigungsunsicherheit getragen werden, die Unternehmen von ihrem Beitrag zur Finanzierung dieser Kosten befreit werden sollten, wenn sie doch die Hauptprofiteure der Produktivitätszuwächse sind.

3. Ein an die neue Natur der Wertschöpfungsformen des Kapitals angepasstes Steuersystem

Unter Berücksichtigung zumal der Norm der Beschäftigungsdiskontinuität wie der Kontinuität der kreativen Tätigkeit als unmittelbar sozialer Tätigkeit erscheint eine ausschließlich auf Beitragszahlungen gegründete Finanzierung weniger und weniger adäquat angesichts der neuen Natur des Reichtums und der Modalitäten der Arbeitseinsatzes. Das System zu reformieren bedeutet mithin zuallererst, an neue Finanzierungsquellen zu denken. Es bedarf einer Besteuerung der an den Transitorten des Finanzkapitals – des Kapitals der virtuellen Kommunikation – eingenommenen "Rendite", einer Besteuerung dort, wo der Reichtum heute vollkommen unentgeltlich vereinnahmt wird: in den Kreisläufen des Kapitals, des großen Nomaden.  

 
Der Text wurde auch publiziert in: Kulturrisse 02/05.

[1] "Im Lauf der ersten vier Monate des Jahres 2003 erreichten die Ausgaben des Gesamthaushalts 99,48 Milliarden Euro, das entspricht einem jährlichen Anstieg von 0,8 % (+ 750 Mio. Euro). Nur die militärischen Kapitalausgaben nehmen zu (+ 1,15 Mia. Euro von einem Jahr zum anderen am Ende des Monats April). Die gewöhnlichen Ausgaben sowie die zivilen Kapitalausgaben bleiben hingegen unter dem Niveau, das im selben Zeitraum 2002 erreicht wurde" ("La situation du budget de l’État au 30 avril", www.minefi.gouv.fr/indicateurs/budget/2003/030430.htm).