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09 2016

Proceso constituyente übersetzen, oder die politische Arbeit der Übersetzung

Kelly Mulvaney

Aus dem Englischen von Niki Kubaczek und Gerald Raunig

Wenn municipalismos sich quer durch und um Europa herum ausbreiten sollen, ist Übersetzung die Vorbedingung dieser Ausbreitung. Aber was macht Übersetzung in diesem Kontext soziopolitischer Erfahrung aus? Was wird übersetzt und was tut die Übersetzung? Was wird vorausgesetzt und was impliziert es, die konstituierende Bewegung, die als Munizipalismus bekannt ist, über Spanien hinaus auszubreiten? Wo verlaufen die Fallstricke, wo die Fluchtlinien?

Vor, innerhalb und nach jeder Ausbreitung, jeder Verteilung, steht die Politik der Übersetzung. Zu übersetzen bedeutet, politisch zu arbeiten, wie Sandro Mezzadra und Brett Neilson (2013), aber auch andere geschrieben haben. Als sozialer, semiotischer und affektiver Prozess vollbringt Übersetzung selbst schon immer eine politische Arbeit.[1] Indem sie spezifische Verständnisse und Praktiken von Sprache, Geographie und Versammlung heranziehen, verwenden und entwickeln Menschen ein praktisches Wissen der Übersetzung. Sie definieren damit, was wie übersetzt wird, welche Beziehungen unter Aktivist_innen und dadurch auch zwischen Territorien geformt und verhindert werden, welche politischen Projekte schließlich vorstellbar und welche unmöglich gemacht werden – wo, wann und für wen.

Im vorliegenden Text möchte ich auf ein transnationales Bewegungstreffen zurückkommen, das 2012 unter dem Titel Agora99 in Madrid stattfand, und in diesem Kontext genauer die Praxis der Übersetzung reflektieren. Wie die Texte in diesem Band betonen, war die 15M-Bewegung eine zentrale Erfahrung für den Munizipalismus in Spanien. Eine Rückkehr zu diesem Augenblick ist daher nicht nur im Allgemeinen aufschlussreich, um die Dynamik der Übersetzung in einem vertraulichen Bewegungssetting zu verstehen, oder weil derartige Überlegungen politisch relevante Annahmen über Sprache, Raum und Versammlung zur Geltung bringen. Mehr noch kann ein genauer Blick darauf, was bei der Agora99 mit und in der Übersetzung geschehen ist, etwas vom radikalen Potenzial des Munizipalismus verdeutlichen helfen.


Rückblende nach vorn: den (Begriff des) konstituierenden Prozess(es) übersetzen

Für die offene Gruppe, die sich in Madrid konstituierte, um 2012 die Agora99 zu organisieren, erfüllte das Treffen einen doppelten Zweck: die Aktivist_innen von außerhalb Spaniens in die politische Sprache und Praxen der 15M-Bewegung einzuführen, aber auch die Möglichkeit für in Madrid Lebende wie für angereiste Aktivist_innen zu schaffen, lokal oder national gerahmte Kämpfe in einem transnationalen Kontext zu verorten. Anders gesagt fand das Treffen statt, um verschiedene Formen von Übersetzung voranzutreiben: die Übersetzung des 15M aus Spanien woandershin, die Übersetzung von lokalen Kämpfen auf ein transnationales Terrain. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Zumutung der Sparpolitik der europäischen Institutionen wurde vielfach das Ziel formuliert, die Strategien „auf europäischer Ebene“ zu koordinieren. Tatsächlich war die Agora99 in Madrid das erste und wohl einzige transnationale, offene Treffen von Bewegungsaktivist_innen in dieser Größe, welches in Europa in der unmittelbaren Folge der Mobilisierungen von 2011 stattfand. Neben Schulden war das vorrangige Thema auf der Agenda des Treffens der konstituierende Prozess. Das wurde zwar nie offiziell angekündigt, aber die Madrider Gastgeber_innen nahmen so oft darauf Bezug – beim runden Tisch zu Beginn des Treffens, in den dutzenden kleinen Workshops, die die Agora vor allem ausmachten, in den besetzten Häusern, den Cafés und auf den Gehsteigen, wo Treffen stattfanden und Diskussionen fortgesetzt wurden –, dass der Workshop „Towards a constituent process” am zweiten von drei Tagen des Treffens zum sehnsüchtig erwarteten Ereignis wurde.

Der Workshop fand in einer kollektiv geführten Buchhandlung im Stadtzentrum statt, in einem mittelgroßen, gut beleuchteten Raum, in den sich einige hundert Körper hineinquetschten, während es draußen regnete. Auf der vorderen Seite des Raumes präsentierten Aktivist_innen aus Madrid ausführlich und auf Spanisch ihre Argumente zur Notwendigkeit eines konstituierenden Prozesses in Spanien und Europa. In einer Ecke wurde eine Flüster-Übersetzung ins Englische angeboten, doch größtenteils spielte sich die Übersetzung durch den gerammelt vollen Raum hindurch in dezentraler Weise, im Schwarm ab. Anstatt also eine standardisierende Glosse linear in die jeweiligen nationalen Sprachen zu setzen, füllte sich der Workshop mit vervielfältigenden Begegnungen – linguistischen und allgemeiner semiotischen wie affektiven – zwischen unterschiedlichen politischen Sprechweisen-Theorien-Diskursen-Traditionen-Erfahrungen-Ausrichtungen.

Die Präsentationen endeten auf der provisorischen Workshop-Bühne mit dem Vorschlag, dass die restliche Zeit für die Diskussion darüber verwendet würde, welche Form ein konstituierender Prozess in Europa annehmen könnte und welche Werkzeuge es dafür bräuchte. Diese Fragen wurden in mannigfaltiger Weise aufgenommen, aber zwei wohl bezeichnende Antworten betonten Aspekte der Übersetzung. Einen Aktivisten, der für das Treffen aus Berlin angereist war, verärgerte der Vorschlag: Wie konnten die spanischen Genoss_innen einen konstituierenden Prozess als adäquate Strategie für Europa darstellen? Wenn konstituierender Prozess einen Aufruf für eine neue Verfassung bedeutete, dann würde das vielleicht in Spanien in den Massenmobilisierungen auf Resonanz treffen, aber es wäre total unrealistisch in Deutschland, wo die Bevölkerung den Status-Quo unterstütze. Offenbar wären die Workshoporganisator_innen in ihrer Blase der spanischen Erfahrung festgefahren, und scheiterten deswegen daran, die transnationale Perspektive einzunehmen, die es braucht, um Solidarität in Europa in der Krise aufzubauen. Ein Aktivist aus Rom lieferte eine ganz andere Interpretation: In Italien gab es keine Bewegung wie 15M, und vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Zeitlichkeiten und Situationen der Krise im ganzen europäischen Raum müssten die Aktivist_innen neuartige Beziehungsweisen über neue Grenzen hinweg entwickeln. Aktivist_innen von außerhalb Spaniens könnten sich eine Karte von Europa ausmalen, auf der die 15M-Bewegung als orientierender Brennpunkt diente, als Aufmerksamkeitsort und als Ort des Lernens, nicht als Kopiervorlage. Solche Vorstellungen wären die Bedingung für den Erfolg transnationaler Kooperation.

Die Debatte um einen „konstituierenden Prozess“ bei der Agora99 und im Umfeld des Treffens umfasste teils implizit, teils explizit eine Meta-Debatte zur Frage der Übersetzbarkeit: Was sind die Bestimmungen, gemäß derer proceso constituyente zu übersetzen ist, und was sind die Kriterien für eine erfolgreiche Übersetzung? Die zwei oben skizzierten Reaktionen nehmen und bieten verschiedene Antworten auf diese Fragen an. Es sind unterschiedliche Formen von praktischem Wissen, die sie heran- und vollziehen. Die eine baut auf ein referenzielles Verständnis von Sprache, auf eine moderne europäische politische Geografie von Nationalstaaten mit progressiven Zentren und regressiven Peripherien, und auf eine Politik, die Versammlung als Aspekt von Vertretung und Entscheidung versteht. Die andere basiert auf einem performativen Verständnis von Sprache, durchkreuzten und mannigfaltigen politischen Zeit-Räumen, und einer Politik, für die Versammlung ein nicht-repräsentatives Treffen für Austausch und Verhandlung ist. Was in diesen zwei Formen praktischen Wissens auf dem Spiel steht und wie sie gerinnen, bleibt zu zeigen.


Suche nach Entsprechungen, Schaffung von Bedingungen

Bei denjenigen, die bei der Agora99 vom Spanischen ins Deutsche übersetzten, herrschte eine Unsicherheit darüber, wie proceso constituyente am besten in die deutsche Sprache zu übertragen wäre. Im Englischen musste es constituent process heißen, im Italienischen processo costituente – aber im Deutschen war die Sache weniger klar. Bezogen sich die Madrider Aktivist_innen auf einen verfassungsgebenden Prozess? Und wenn nicht, wie sollte man es sonst nennen? Im Großen und Ganzen kreiste die Debatte um die Annahme, dass die Aufgabe der Übersetzung ein linguistisches Verfahren der Identifikation einer deutschsprachigen Entsprechung für proceso constituyente wäre – das heißt, eines Begriffes, der sich auf die gleiche Sache beziehen würde.[2]

Natürlich impliziert dies auch die Unterstellung einer gegebenen Sache, bei der zu beginnen ist, die verfasst und durch Begriffe identifizierbar, immer schon zur Hand sind. All dies wurde in der oben dargestellten ersten Intervention verbunden, die auf die Annahme gestützt war, dass proceso constituyente einen verfassungsgebenden Prozess bezeichnet – eine Tatsache, die anderen Workshop-Teilnehmer_innen verborgen bleiben musste, weil die Intervention selbst in englischer Sprache mit dem in dieser Hinsicht unproblematischen Begriff constituent process vorgetragen wurde. Die Entscheidung für „verfassungsgebend“ war nicht willkürlich, und sie erfolgte auch nicht mit theoretischer oder semantischer Intention. Sie basierte eher auf soziokultureller Geläufigkeit – auf der Verfügbarkeit bekannter Texte und sprachlicher Ressourcen. Die meisten spanischsprachigen deutschen Aktivist_innen hatten Spanisch nicht in Spanien gelernt, sondern in Lateinamerika, und nicht wenige waren vor allem mit den politischen Entwicklungen in Venezuela, Ecuador und Bolivien vertraut, wo verfassungsgebende Prozesse eine zentrale Rolle gespielt hatten. Die Denotation von „verfassungsgebender Prozess“ stellt die Schaffung einer neuen Verfassung in den Vordergrund, eine Bedeutung, die ikonisch dadurch verstärkt wird, dass das Lexem „Verfassung“ Teil des Begriffs ist und in seiner „klassischen“ (gegebenen, verfassten/konstituierten) Form verstanden wird. Daher dachten einige deutschsprachige Aktivist_innen, der Agora99-Workshop zum konstituierenden Prozess würde ein juristisches Verfahren anregen. Diejenigen, die eine stärkere Affinität zu Südamerika hatten, verstanden die Sache, die von den Madrider Aktivist_innen vorgeschlagen wurde, als einen Prozess für Europa, der dem entsprach, was in Venezuela, Ecuador und Bolivien in Bewegung gesetzt worden war. Entscheidend ist, dass „konstituierender Prozess“ in diesem propositionalen, referenziellen Sinn als eine Art einheitlicher Formel zur Anwendung in einer gegebenen Welt da draußen verstanden wird. In diesem Verständnis konnte man fast in einem Atemzug annehmen und schließen, dass „es“ in Spanien vielleicht „realistisch“ sei, nicht aber in Deutschland.

Im Verständnis vieler Aktivist_innen aus Madrid war proceso constituyente keine gegebene Sache oder ein Phänomen in der Welt, das ausgewiesen und damit auf Spanisch und Deutsch gleich glossiert werden könnte. Vielmehr bezeichnete der Begriff zusätzlich, aber nicht getrennt von seinen politisch-theoretischen Aufladungen sowie von Verknüpfungen mit Südamerika, einen Prozess des Lernens und Werdens, dessen Formierung in der 15M-Bewegung begann.[3] In diesem Zusammenhang war language play zu einer entscheidenden, wenn auch neu erworbenen politischen Technologie geworden. Die semantische Unschärfe des proceso constituyente im Spanischen und im Englischen zwischen dem „klassischen“ Begriff eines Verfassungsprozesses und etwas anderem, war in Zusammenhang mit der 15M-Bewegung als Stärke identifiziert worden. Sofern die Verwendung des Begriffs in den Zusammenhang der Solidarität mit der Bewegung gebracht wurde, wurde die Beharrlichkeit dieser Ambivalenz strategisch gefördert, um eine Zersplitterung der Bewegung in so genannte „radikale“ und „reformistische“ Lager zu verhindern. Während und um den Workshop zum konstituierenden Prozess vermieden die Aktivist_innen aus Spanien bei all den drängenden Fragen dazu, was sie mit konstituierendem Prozess „meinten“, durchgehend jede bestimmte Definition. Zugleich lieferten sie viele Teildefinitionen in Anspielungen oder Beispielen Ausarbeitung einer neuen Verfassung, ja, aber vielleicht doch etwas, das mehr wie ein Wiki ist, auf jeden Fall mit sozialen Feedback-Schleifen, und mit einem Prozess der materiellen Reorganisation, wie ein Aktivist es ausdrückte –, dass es unmöglich schien, den Begriff selbst festzuhalten. Für einige war genau das der Punkt: Anstatt einen ausführbaren Plan zu formulieren, performte der Workshop zum konstituierenden Prozess eben diesen, um die Aktivist_innen zur Diskussion darüber zu bringen, wie ein konstituierender Prozess vorstellbar wäre und welche Ressourcen für „die Entwicklung des Prozesses“ erforderlich wären.“

Während die Interaktionen im Rahmen der Agora99 mannigfaltiger wurden und sich verdichteten, kamen die meisten deutschsprachigen Übersetzer_innen überein, dass „verfassungsgebender Prozess“ keine passende Übersetzung zu sein schien. In der andauernden Diskussion der folgenden Tage und Wochen und der beginnenden Forschung zum proceso constituyente wurde „konstituierender Prozess“ zum allgemein akzeptierten Begriff, insbesondere als deutschsprachige Texte gefunden wurden, in denen poder constituyente als „konstituierende Macht“ übersetzt worden war.[4] Während die Aufgabe der Übersetzung langsam neue Gestalt annahm ­ von der Klärung, worauf die Aktivist_innen in Madrid vermeintlich Bezug nahmen, zur Frage, wie man auf einen konstituierenden Prozess in Deutschland hinarbeiten könnte ­ zeigte sich die Debatte über den passenden deutschen Ausdruck in neuem Licht. Es wurde problematisiert, dass „konstituierend“ nicht dasselbe Potenzial an Popularität hätte wie constituyente in Spanien und anderswo, weil „konstituierend“ mit seiner lateinischen Wurzel im deutschsprachigen Raum in vielen Kontexten als elitär und akademisch verstanden würde. Der Punkt hier ist nicht, diesen Anspruch zu verifizieren oder zu negieren, sondern darauf hinzuweisen, dass es aus einem anderen praktischen Wissen der Übersetzung entstanden ist als aus der Suche nach einer (denotationellen) Entsprechung. Der soziale Bedeutungskontext, der immer schon relevant war, begann nun, explizit diskutiert zu werden. Und wenn Einsicht in die soziale Wirksamkeit der Sprache ein Schritt ist, ihren kreativen Einsatz in bestimmte Richtungen zu lenken, dann hatte die Diskussion über die Übersetzbarkeit eine politische Wirkung.


Chronotop in die Nation und aus ihr heraus

Nicht nur unterschiedliche Sprachkenntnisse waren bei der Übersetzung von proceso constituyente am Werk, sondern auch Meta-Geographie.[5] Im November 2012 war die Rede von der sogenannten Eurokrise noch auf ihrem Höhepunkt. Ob kritisch oder von Seiten der Regierung als Notwendigkeit verstanden, war die Eurokrise im „europäischen“ Raum breit wirksam als Performance einer Teilung von Staaten (und damit des politischen Raums) in Gläubiger und Schuldner, die einen moderner als die anderen. Dieses bekannte Schema funktioniert dadurch, dass dem Zentrum qua „Europa“, das Maß der Werte, Qualitäten der „Progressivität“ und „Stabilität“ zugeschrieben werden, während Peripherie qua nicht oder weniger „Europa“ als „rückwärtsgewandt“ und „instabil“ („in der Krise“) gilt. Unter Rückgriff auf die Ideologie, dass eine Nation einer Sprache entspricht und eine Sprache einem Territorium, werden „nationalisierte“ Personen, Sprachen und Territorien nicht nur als Gegensätze aufgebaut, sondern auch entlang einer Zeitlinie „vor“ oder „hinter“ einander gesetzt.

In den sozialen Bewegungen bestand eine Antwort auf diesen Diskurs darin, den Wert der Peripherie zu betonen, ja zu feiern. Dies war ein Akt gegen die stattfindende kulturelle Abwertung und ökonomische Verarmung, aber auch – und das ist das Relevante hier – eine Art Anti-Diskurs der Eurokrise, der die Begrifflichkeit der Eurokrise aufnahm und sie umdrehte, indem er Bewegung und Zukunftsversprechen mit „Peripherie“, und Stasis und Konservativismus mit „Zentrum“ assoziierte. Diese Koordinaten hatten unter Aktivist_innen einen ziemlich weit verbreiteten Common-Sense zur Folge, was zu Aussagen führte wie „so haben wir [in Spanien] vor fünf Jahren darüber gesprochen“, wie ein spanischer Aktivist nach einer Diskussion unter deutschen Aktivist_innen kommentierte – er situierte die Bewegung in Spanien in „der Gegenwart“ und die deutschen Aktivist_innen in der Vergangenheit. In ähnlicher Weise sagte ein Aktivist aus Berlin nach einem Besuch in Griechenland, „sie“ [die Griechen] seien „mindestens zehn Jahre vor uns“ [den Deutschen]. Nation, Territorium und sogar die Sprechweise (oder das „Register“) werden verknüpft, ein Chronotop aktualisiert sich.

Gemäß den Begriffen dieses Anti-Diskurses der Eurokrise wäre es nämlich sinnvoll, zu postulieren, dass – um zu den auf der Agora99 zirkulierenden Einschätzungen zurückzukehren – ein konstituierender Prozess in Spanien vielleicht „realistisch“ wäre, nicht aber in Deutschland. Und hier beginnt sich die Fehlerhaftigkeit dieser Logik zu zeigen. Denn selbst wenn die 15M-Bewegung neuen politischen Potenzialitäten quer durch das Gebiet des spanischen Staates den Weg bahnte, und selbst wenn ein Diskurs über einen konstituierenden Prozess in diesem Setting entwickelt worden war, wäre jede „realistische“ Einschätzung zu dem Schluss gekommen, dass ein verfassungsgebender Prozess auch in Spanien im Jahr 2012 kaum bevorstand oder machbar war. In der Tat schien dieser Anspruch gerechtfertigt, weil eine andere Schicht von Raum-Zeit-Verständnis am Werk war – jenseits, aber auch diesseits des Diskurses der Eurokrise. In Anbetracht der Assoziation von „verfassungsgebender Prozess“ mit den sogenannten progressiven Regierungen in Südamerika, die von den dorthin gereisten Aktivist_innen als das Gegenteil des „konservativen Deutschland“ erlebt wurden, entwarf der Vorschlag des proceso constituyente in Spanien eine politische Geographie, die Spanien und Südamerika verband und ähnlich „Bewegung in Spanien“ gegen das „konservative Deutschland“ setzte – ein Schema, das umso mächtiger war, als viele junge deutsche Aktivist_innen im frühen Erwachsenenalter nach Südamerika gereist waren, auf politisch inspirierte Formen von Übergangsritual-Reisen, die gerade wegen ihrer binären Kodierungen nachdrücklich wirksam sind.

Eine solche Verräumlichung/Verzeitlichung fixiert die Möglichkeiten für Beziehung und Übersetzung an den (mutmaßlich intern homogenen) nationalstaatlichen Maßstab und löscht nicht nur Heterogenität aus, sondern auch andere politisch-ökonomische Skalierungen, die für Leben und Lebendigkeit von Bedeutung sind. Hier wird der Unterschied zwischen der beschriebenen Reaktion der Berliner Aktivist_innen und der zweiten in der Einleitung dieses Textes skizzierten Antwort deutlich. Der Aktivist aus Rom sprach von „mehreren Zeitlichkeiten der Krise“, „überkreuzten Zonen“ und „Grenzproduktion“ und zeichnete (auf) eine/r Geographie, die deutlich verschieden von der Eurokrise und ihrem Anti-Diskurs ist. In der Tat argumentierten viele Menschen aus Italien, wo eine elaborierte Debatte über die Politik des Raums Teil des aktivistischen Diskurses war, an der Agora99 und anderswo explizit, dass die Zentrum-Peripherie-Geographie Europas „nicht mehr adäquat“ sei. Der Aufruf, Werkzeuge für einen konstituierenden Prozess zu erfinden, war mit dem Slogan „reset Europe“ verbunden, der das Treffen in Madrid rahmte, wie auch mit dem Slogan „make Europe“, der ein Jahr später ein zweites Agora99-Treffen in Rom rahmte. Diese Slogans sind nicht nur von einem kreativen Verständnis und Gebrauch der Sprache geleitet, sondern auch und erst recht von einer Idee über die Produktivkraft der Repräsentationen des politischen Raums. Der Vorschlag, sich auf die 15M-Bewegung als orientierenden Brennpunkt zu beziehen, als Aufmerksamkeitsort und Ort des Lernens, nicht als Kopiervorlage, eröffnet relationale Möglichkeiten, die durch die Schemata von Bewegung vs. Stasis, Zukunft vs. Rückwärtsgewandtheit ausgeschlossen werden. Es handelt sich um Möglichkeiten, die nicht zur Verfügung stehen, wenn der primäre Kontext der Beziehungen jener der staatlichen Politik, der Geopolitik ist. So war es möglich, den konstituierenden Prozess als etwas aufzunehmen und zu übersetzen, mit dem man spielen, das man ausprobieren kann, dem man die kreative Aufgabe der Neuzusammensetzung stellen kann.


Vom Zweck der Versammlung, oder: Wozu Übersetzung?

Natürlich werden solche Möglichkeiten nicht einfach nur durch das Verständnis von Sprache und politischem Raum geöffnet oder geschlossen. Was sich auch bei Agora99 als für die Übersetzung entscheidend erwies, waren die Erwartungen, mit denen die Aktivist_innen an dem Treffen teilnahmen. Diese unterschiedlichen Erwartungen deuten auf implizite Modelle der Versammlung hin, die in den Ansätzen der Aktivist_innen und in ihrem Engagement bei den Treffen am Werk sind. Insbesondere wurden verschiedene Ansätze der Versammlung durch verschiedene Modelle von Teilen und Ganzen gerahmt, und dies wiederum beeinflusste die Übersetzung.

Für den eingangs zitierten Aktivisten aus Berlin war die Versammlung ein Ort zur Festlegung der Strategie und zur Entscheidung über ausführbare Pläne. Aufgrund der Sorge um die Durchführbarkeit eines solchen vorgestellten Plans war er auf die Suche nach der richtigen Übersetzung von proceso constituyente fokussiert, die er für den Namen und die Zielsetzung des mutmaßlichen Plans hielt. Auf der Grundlage dieser Übersetzung argumentierte er in der Diskussion im Workshop, dass der Plan in Deutschland nicht ausgeführt werden könnte, und setzte weiter voraus, dass es daher das Ziel der Diskussion war, eine Entscheidung über die Bestätigung oder Ablehnung des mutmaßlichen Plans zu erreichen.

Sich vorzustellen, dass ein paar hundert Aktivist_innen sich für ein Wochenend-Treffen versammeln und einen ausführbaren Plan für Europa erfinden und über ihn entscheiden würden, beruht auf der Idee, dass das Treffen im Idealfall aus Aktivist_innen als nationalstaatlichen Vertreter_innen bestand, die sich getrennt und Seite an Seite in einem abstrakten Körper der sozialen Bewegungen in Europa vereinten.[6] Die Agora99 wird als ein Ort der bewertenden Beurteilung und Entscheidung vorausgesetzt, deren Rechtsprechung die europäische Karte überzieht. Die Ausführung geschieht anderswo – und danach. Die Praxis „in den Bewegungen“ wird dabei von der Praxis der Entscheidungsfindung „über Bewegungen“ getrennt, während Praxis sowohl zeitlich als auch kausal als der Entscheidung folgend verstanden wird. Anstelle eines Raums der „Kontaminierung“ lässt dieses Bild das Treffen als abgeschnitten, darüber, abgeschottet erscheinen. Darüber hinaus wurde vorausgesetzt, dass dies die Bedingungen für die Beteiligung aller waren, dass die Bedingungen der Übersetzung geteilt wurden.

Der Aktivist aus Rom intervenierte dagegen explizit in die Frage, wie mit der Übersetzung verfahren werden sollte. Indem er eine zur herkömmlichen politischen Karte oder zum Modell der Eurokrise alternative Vorstellung Europas vorschlug, und versuchte, für die situierte Differenz zu plädieren, legte er ein Modell der Übersetzung vor, in der Teile sich aufeinander oder auf Ereignisse oder Erscheinungen oder andere Intensitäten als Singularitäten beziehen konnten, und zwar über eine Praxis der Aufmerksamkeit und Orientierung. Mit dem Start eines Gesprächs darüber, „wie“ Übersetzung praktiziert werden könnte, richtet sich sein Input auf die Idee des Treffens als Raums des „Lernens“ aus, und noch mehr als eines Raums für „die Entwicklung von Werkzeugen“. Als solcher wird er nicht als von „der Bewegung“ getrennter Raum wahrgenommen, sondern eher als eine Art von Raum (in) der Bewegung. In der vielfältigen Gegenwart ist er nicht über, vor oder jenseits der Bewegung, sondern eine Konfluenz neben anderen.


Munizipalismus übersetzen

Ein praktisches Wissen der Übersetzung wirkt also auf die Relationalität, es bedingt und aktualisiert die relationalen Möglichkeiten. Es legt fest, was übersetzt wird und wo Übersetzung beginnt und endet. Die Beschreibung und Analyse, die den Großteil dieses Textes ausmachen, bleiben notwendigerweise schematisch und erarbeiten die sozialen und semiotischen Grundlagen der zwei Ansätze zur Übersetzung von proceso constituyente bei der Agora99, um mit analytischen Mitteln unterschiedliche Formen von praktischem Wissen der Übersetzung zu skizzieren. Wenn diese Ansätze bis hierher nebeneinander gestellt zu werden schienen, als ob sie gegensätzliche Ideologien wären, ist es nun eine Überlegung wert, wie sie in der Tat nicht entgegengesetzt, sondern in der Tendenz unterschiedlich sind. Dies ist auch schon unweigerlich in die Diskussion eingeschrieben: Während das praktische Wissen, das sich mit einer referenzialistischen Sprachideologie verband, mit dem modernen politischen Raum, dem Wertschema von Europa und einer repräsentationistischen Politik der Versammlung, sich für kritisches, analytisches Sezieren eignete, rief jenes praktische Wissen, das sich mit performativer Praxis, raumzeitlicher Heterogenität und der sozialen Herstellung von Raum und Immanenz in Bewegung verband, etwas anderes auf.

Bei der Agora99 gab es auch einen Aktivisten aus Berlin, der sich weniger für proceso constituyente als linguistischen Ausdruck oder politische Formel interessierte. Während andere Übersetzung in diesen Begrifflichkeiten diskutierten, ging er in die Straßen der Nachbarschaft. Am dritten Tag der Agora99 kehrte er durch die Bewegung „infiziert“ zurück; er war selbst in die 15M-Bewegung getaucht, ihre Farben, Geräusche, Rhythmen, und wusste, dass er sich selbst zu helfen wüsste, so etwas Ähnliches irgendwo anders ins Leben zu rufen. Während der Wille, eine deutschsprachige Entsprechung für proceso constituyente zu finden, von der mutmaßlichen Notwendigkeit herkam, ihn in einer bestimmten Art und Weise zu wissen, sein Wesen zu bestimmen, um dann über ihn zu entscheiden, war die Öffnung der Übersetzung zur Aufnahme von Kräften jenseits des Sprachlichen und jenseits dessen, was in einer engen Definition als politisch betrachtet wird, durch eine andere Beziehung zum Ungewohnten gekennzeichnet. Vielleicht stellt diese öffnende Übersetzung die Entscheidung nicht als einen Schnitt in einer Linie vor, der eine vermeintlich unsichere Vergangenheit von einer in Sicherheit eingegossenen Zukunft trennt, sondern zieht eine andere Art von imaginierter Grenze zwischen dem „Bekannten“ und dem „Unbekannten“ oder „Unterschiedlichen“, eine, die weniger abgrenzt als verunklärt, Zonen der Verwundbarkeit und Konfusion schafft. In diesem Modus gelangt man zu einem Prozess des Lernens mit offenem Ende, lebt mit ihm eine Weile, erlaubt sich, konfrontiert zu werden, sich zu engagieren, zu verhandeln, affiziert zu werden. Dies berührt, indem es mehr von der Person abfordert, die Bedingungen der Übersetzung, sodass die Übersetzung des Wissens über „es“ eine breitere Palette von Ressourcen, von Weisen des Wissens und Sich-Beziehens neben der kritischen Analyse und dem entscheidenden Urteil heranzieht.

Wenn also ein praktisches Wissen der Übersetzung bestimmt, was übersetzt wird, wirkt sich das, was übersetzt wird, auch auf die Übersetzung selbst aus. In diesem Sinne bezieht sich das Versprechen, Munizipalismus zu übersetzen, auf seine Fähigkeit, die Übersetzung selbst zu kontaminieren, Formen des praktischen Wissens der Übersetzung einzufordern und zu kultivieren, die in der Lage sind, mit der Sprache zu spielen, das Territorium neu zusammenzusetzen und Versammlung in Weisen zu fördern, die der Munizipalismus von den Erfahrungen des 15M geerbt hat. Dies kann durch die Skalierung des Munizipalismus in einem nicht-nationalen Rahmen unterstützt werden, was die Umgehung (den „Kurzschluss“, um ein erhellendes Konzept aus dem munizipalistischen Register zu zitieren, wie es in dem Beitrag von Galcerán Huguet in dieser Ausgabe vorkommt) der Ideologie der einen Nation, der einen Sprache, des einen Territoriums ebenso erlaubt, wie auch des Wertschemas Europa/Fortschritt, mit dem es verbunden ist, die zusammen die Protokolle und Vorstellungen der sozialen Bewegungen in ganz Europa überdeterminieren, einschließlich und manchmal mit besonderer Betroffenheit jener, die explizit kritisch sind in Bezug auf (methodologischen) Nationalismus.

Statt Deutschland gegen Spanien zu setzen, könnte man zum Beispiel auf die Geschichte der Schuldenpolitik in deutschen Gemeinden aufmerksam machen, wie Felix Wiegand und andere (2016) in Frankfurt am Main es begonnen haben. Insoweit Zugehörigkeitsgefühle auf der munizipalen Ebene, wo Wohnen und Nachbarschaftsbeziehungen stärker bedeutsam werden, weniger durch die Institution der Staatsbürgerschaft und „Rassen“-Denken überdeterminiert sind, bietet der Munizipalismus auch ein gewisses Potenzial für Übersetzung. Das beginnt bei der Tatsache, die keineswegs unterschätzt werden sollte, dass eine breitere Menge von Sprecher_innen als fähig betrachtet werden könnte, kompetent über die vorliegenden Themen zu sprechen. Auch die Nähe der politischen Praxis des Munizipalismus zu den physischen Orten des Wohnens, der Bildung, der Immigration und der Bürger_innenschaft, der Gesundheit und Demokratie, an deren Transformation im Munizipalismus gearbeitet wird, könnte es schwieriger machen, die Komplexitäten dieser Fragen in der Übersetzung auszulöschen. Das soll hier positiv betont werden, nicht weil Komplexität notwendigerweise ein Wert an sich wäre, sondern weil die dadurch aufgeworfene Schwierigkeit Grund für genauere und sorgfältigere Aufmerksamkeit sein kann: Die Aktivist_innen sind so noch einmal gefordert, über weniger adäquate und dennoch dominante politische Grammatiken hinauszugehen, auch weil eine solche Aufmerksamkeit in Frage stellen kann, was als gegeben scheint, und das Verständnis einer Umgebung bereichern kann.

Wenn die Agora99 „transnational“ gerahmt war, wird der Munizipalismus „translokal“ übersetzt werden müssen, und zwar mit Sorgfalt dafür, dass das Lokale nicht mit der Stadt (oder der urbanen Erfahrung) gleichgesetzt oder als homogener Raum vorgestellt wird. Im besten Fall erfordert diese lokale Größenordnung die Verantwortlichkeit gegenüber Menschen und Umwelten und sollte weniger riskieren, Rechenschaft als etwas zu verstehen, das man für eine veränderliche Abstraktion hält. Es bleibt zu hoffen, dass Munizipalismus zu übersetzen auch den Plot von Bewegung und Stillstand/Konservativismus, die in der aktivistischen Übersetzung so allgegenwärtigen Kriterien von „Erfolg“ und „Scheitern“, in Frage stellt, sodass er die Bedingungen der Relationalität selbst zu affizieren und infizieren vermag – und das Wissen vom Politischen.


Literatur

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Irvine, Judith T., und Susan Gal. „Language ideology and linguistic differentiation.“ Linguistic Anthropology, A Reader. Wiley (2009): 402-434.

Gal, Susan. „Language and Political Spaces.” Language and Space: An International Handbook of Linguistic Variation. Mouton de Gruyter (2010): 33–49.

Galli, Carlo. „The Rise and Fall of Modern Political Space.” Vorlesung auf der Bologna-Duke Summer School on Global Studies and Critical Theory, am Dipartimento di Storia, Culture, Civilità der Universität Bologna, 23.06.14.

Latour, Bruno. We have never been modern. Harvard University Press, 1993.

Mezzadra, Sandro. „Wie viele Geschichten der Arbeit? Für eine Theorie des postkolonialen Kapitalismus.” transversal 0112 unsettling knowledges (2012), http://transversal.at/transversal/0112/mezzadra/de.

Mezzadra, Sandro, und Brett Neilson. Border as Method, or, the Multiplication of Labor. Duke University Press, 2013.

Morton, Gregory Duff. „Modern meetings: Participation, democracy, and language ideology in Brazil's MST landless movement.“ American Ethnologist 41.4 (2014): 728-742.

Negri, Antonio. „Auf der Suche nach dem Common Wealth.” transversal 0111 inventions (2011), http://transversal.at/transversal/0811/negri/de.

--- Il potere costituente: saggio sulle alternative del moderno, Sugarco, 1992. [Neue Auflage: Manifestolibri, 2002].

Raunig, Gerald. „Instituierende Praxen, No. 2. Institutionskritik, konstituierende Macht und der lange Atem der Institutierung.” transversal 0107 extradisciplinaire (2007), http://transversal.at/transversal/0507/raunig/de.

---- „Ein Bolivarianischer Prozess für Europa! Konstituierende Macht und der Neustart der Europäischen Verfassung.“ transversal 0305 democratic policies in europe (2005), http://eipcp.net/policies/dpie/raunig1/de.

Silverstein, Michael. „Indexical order and the dialectics of sociolinguistic life.” Language & Communication 23.3 (2003): 193-229.

---- „Metapragmatic discourse and metapragmatic function.” Reflexive language: Reported speech and metapragmatics. Hg. John Lucy. Cambridge (1993): 33-58.

 



[1] Auf die Resonanz mit Bruno Latours (1995) „Arbeit der Übersetzung“ wurde ich erst nach dem Schreiben hingewiesen, aber ihr Vorhandensein ist kein Zufall, und sie ist nur eine unter mehreren Resonanzen, auf die ich hier nicht genauer eingehen kann.

[2] Die Analyse in diesem Text folgt Michael Silversteins Begriff der Metapragmatik (vgl. 1993, 2003) und in diesem Abschnitt insbesondere dem linguistisch-anthropologischen Verständnis von Sprachideologien (vgl. Irving & Gal 2009).

[3] Teils zeichne ich hier nach, wie Übersetzung in real-time, in diskursiver Interaktion funktioniert, wenn sie sich auf situiertes, sozial kontextualisiertes Wissen bezieht und es aufs Neue aktualisiert. Das unterscheidet sich von einem genealogischen Ansatz, der seinen Anfang zum Beispiel bei der Veröffentlichung von Antonio Negris Buch Potere Costituente nimmt und zeigen würde, dass dieses Buch von Bewegungen und politischen Führer_innen in Südamerika gelesen und studiert wurde, wo seine Begrifflichkeiten Teil eines größeren Diskurses wurden, der dann wiederum gemeinsam mit Negris Buch von Aktivist_innen in Forschungs- und Publikationskollektiven in Spanien und anderswo in Europa wiederaufgenommen wurde, Jahre vor 2011, bei seiner Anwendung in der 15M-Bewegung. Natürlich ist diese Flugbahn relevant für die Agora99, ein Ort ihrer Wiederaufnahme oder Aktualisierung. Mein Argument ist, um davon ausgehend einen spezifischen Punkt zu klären, nicht, dass Aktivist_innen aus Deutschland die Einzigen waren, die den konstituierenden Prozess in Zusammenhang mit Südamerika gebracht hätten, sondern vielmehr, dass der Kontext der Bedeutsamkeit dieses Zusammenhangs in gewisser Weise zentral für die Übersetzung war, die den konstituierenden Prozess „in Deutschland unrealistisch“ machte.

[4] eipcp und transversal waren die primären Orte dieser existierenden Übersetzung, z.B. bei Raunig (2005, 2007) oder Negri (2011). Das Problem hier ist die „Erreichbarkeit“: Eine Übersetzung ist nicht einfach „gegeben“, sondern sie muss sich in ein spezifisches sozial-diskursives Register, einen Raum einschreiben, und das war in dieser Situation nicht der Fall. In dieser Art von Situation wird das fragmentierte, geschichtete Wesen der Sprache offenbar.

[5] Carlo Gallis Begriff von politischem Raum (2014), Sandro Mezzadras Ausführungen zu Raum und Zeit im postkolonialen Kapitalismus (2012), Susan Gals Darstellung der semiotischen Wirksamkeit politischer Geographie (2010) und Roberto Dainottos (2006) Arbeit zu Performitivität von Europa bilden die theoretische Grundlage für diesen Aspekt der Analyse.

[6] Vgl. Gregory Duff Mortons (2014) sorgfältige Reflexion über die Treffen der Bewegung der Landlosen (Movimento dos Sem Terra), und über die Stellen, an denen diese als “abstracted wholes” konstruiert werden.