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09 2004
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regionale strategien

zu räumlichen aspekten in der europäischen kulturpolitik

Raimund Minichbauer

Raimund Minichbauer

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in auftrag gegeben von EFAH für die generalversammlung und  konferenz "moving territories. culture in a europe of regions",  28.-31. oktober 2004, lille, frankreich

einleitung

der prozess der globalisierung bedeutet eine veränderung der dynamik politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher zusammenhänge auf allen territorialen ebenen. die veränderte funktion der nationalstaaten und parallel dazu die zunehmende bedeutung regionaler ebenen ist eine der auffälligsten entwicklungen in diesem kontext.

im europäischen kontext ist eine zunehmende bedeutung der regionen seit den 1980er jahren zu verzeichnen, die sich auch auf die politisch-institutionelle ebene niederschlägt, etwa mit der gründung der (europaweiten) "versammlung der regionen europas"[1] mitte der 1980er jahre und einer intensivierung der regionalpolitik der eu/eg, und schließlich dem beschluss im vertrag von maastricht (1991), mit dem "ausschuss der regionen"[2] eine offizielle vertretung auf eu-ebene einzurichten. die regionen-diskussion erreicht mitte der 1990er jahre einen höhepunkt und bleibt anschließend in der täglichen agenda präsent.

mit der erweiterung 2004/2007 und der damit einhergehenden erhöhung der ökonomischen und sozialen ungleichheiten innerhalb der europäischen union, stellt sich verstärkt die frage nach einem ausgleich räumlicher disparitäten. und sie stellt sich nicht einfach nur entlang einer dichotomie zwischen alten und neuen mitgliedstaaten. zu fragen ist etwa nach den auswirkungen wachsender regionaler ungleichheiten 'innerhalb' der neuen mitgliedstaaten auf das gesamte 'gleichgewicht' und damit nach der gesamtdynamik auf den verschiedenen territorialen ebenen.[3]

das vorliegende positionspapier versucht, die logik der angesprochenen regionalen 'mobilisierung' seit den 1980er jahren im kontext der neoliberalen globalisierung zu verorten und die rolle des kulturellen feldes und 'der kultur' in dieser logik zu skizzieren. auf basis dieser analyse wird im zweiten teil versucht, kritische positionen und strategien gegen die instrumentalisierung von kunstpraxen und kulturbegriffen im kultur/politischen bereich zu skizzieren.

für kritische diskussion dieses textes danke ich meinen eipcp-kolleg/innen andrea hummer, therese kaufmann und gerald raunig.

 
I. vermessung der regionen

1. raum/region

eine region ist keine gegebenheit, weder physisch noch sozial noch mental. sie ist eine konstruktion, die immer wieder umgeformt, verändert, neu geschaffen wurde und wird. es sind vielfältige gesellschaftliche prozesse, die den raum strukturieren, und sie sind von auseinandersetzungen geprägt. eine massnahme in diesen auseinandersetzungen kann darin bestehen, eine bestimmte wahrnehmung eines territoriums absolut zu setzen, sie als subjekt zu konstituieren und mit einer identitätskonstruktion zu stützen. so wird schließlich auch die tatsache der konstruiertheit regionaler identitäten unsichtbar gemacht.

die frage, wie plausibel diese identitäten erscheinen, hängt nicht zuletzt mit den gängigen raumvorstellungen zusammen. relevant erscheinen dabei vor allem zwei gegensätzliche vorstellungen, die auf physikalische konzepte zurückgehen: das konzept des 'container'-raums geht auf newton zurück und bildet das raummodell der klassischen physik. in dieser vorstellung existiert "raum" unabhängig von materiellen körpern, wie eine schachtel, die mit objekten befüllt wird. im 'relationalen' raumkonzept hingegen ist ein "leerer raum", der unabhängig von körperlichen objekten existiert, nicht vorstellbar. "raum" besteht nicht als eigene realität, sondern ist eine "relationale ordnung körperlicher objekte".[4]

das klassische modell des 'container'-raums prägt weitgehend unser alltagsbewusstsein, und bildet die basis für traditionelle ansätze in gesellschaftswissenschaften und politischen raumkonzepten: von der klassischen soziologie über die landschaftsgeografie bis zur neoklassik in den wirtschaftswissenschaften. dabei wird etwa das "nationale territorium" als vorgegebener raum/behälter gesetzt, der mit menschen und objekten "befüllt" ist.

neuere und kritische konzepte stehen oft der 'relationalen' raumauffasung nahe.[5] ist die durch den 'behälter' geschaffene vorstellung einer fixierten einheit, etwa einer in dieser form aufgefassten region, überwunden, so werden die permanenten prozesse der raumstrukturierung und die eigendynamik der verschiedenen räumlichen ebenen - physisch-territorial, politisch-institutionell, sozial, funktionell, sprachlich, ökonomisch - erfassbar.

was nun von diesen raumstrukturierenden prozessen als "region" bezeichnet wird, orientiert sich vor allem an der größenordnung, genauer: am verhältnis zu bestimmten (vorausgesetzten) größenordnungen. region bezeichnet in dieser hinsicht einen "intermediären raum, der jeweils in bezug auf größere und kleinere räume (die welt, einen kontinent, einen nationalstaat z.b.) zu verorten ist. auf den nationalstaatlichen kontext bezogen umfasst region alle 'räumlichen' phänomene, die nicht der lokalen oder nationalen ebene zugeordnet werden können."[6]

damit sind die koordinaten genannt für die vielfalt von regionen, auf die wir in europa empirisch treffen: was die raumstrukturierenden ebenen betrifft, auf die sich die jeweilige regionsdefinition primär bezieht, reichen die elemente von physisch-geografisch über funktional (funktionale metropolregion) und historisch bis zum hilfsbegriff für die konzeptualisierung von unternehmensclustern; was die frage der institutionalisierung betrifft, reicht die spannweite von der verfassungsmäßig garantierten region mit gewählter regierung und umfassenden legislativen kompetenzen über reine verwaltungseinheiten bis zur wirtschafts- oder tourismusregion, die z.b. nur in einem verband oder gar nicht formal institutionalisiert ist; und was die größenordnung betrifft, so wären im sinne der obigen definition auch die 'räumlichen' phänomene zwischen kontinent und nationalstaat als 'regional' zu erfassen, etwa mittelmeerraum, osteuropa, die europäische union.

wenn wir den diskursen folgen, die sich auf bestimmte elemente aus diesem spektrum beziehen, etwa die politisch-insititutionell organisierten regionen zwischen lokaler und nationaler ebene in ihrem verhältnis zu den nationalstaaten und der eu, oder ökonomisch definierte regionen, versuchen wir immer gleichzeitig den vielfältigen regionen-begriff offenzuhalten, der auch die positiven materialistischen qualitäten des regionalen - dh. alle formen von "partikularismus" im positiven sinn, etwa spezifisches wissen vor ort - zugänglich macht.

 
2. postfordistische regionalisierung

das seit mehreren jahren viel diskutierte verhältnis zwischen regionen und nationalstaaten ist vor einem längeren historischen hintergrund zu sehen. im mittelalter und der frühen neuzeit bestand in europa eine territorial sehr vielfältige politik, die vor allem ab beginn des 19. jahrhunderts durch den nationalstaatlichen bezugsrahmen überdeterminiert wurde. mit der konstruktion nationaler wirtschaften, 'kulturen', sprachen, sozialräume etc. im rahmen der ausbildung moderner nationalstaaten wurden die regionalen unterschiede zunehmend nivelliert. nach ende des zweiten weltkrieges können in 'west'-europa zwei politische phasen in bezug auf regionale ebenen unterschieden werden[7]: die erste phase, die in den 1960er und zu beginn der 1970er jahre ihren höhepunkt erreichte, steht im kontext des nationalstaates. dieser wurde dabei als bezugsrahmen nicht in frage gestellt, man musste aber für räumliche disparitäten innerhalb des nationalstaates lösungen finden, und die region schien dafür der geeignete kontext. die zweite phase begann in den 1980er jahren und bedeutete eine stärkung der regionalen ebenen im kontext von globalisierung, veränderung der funktion des nationalstaates und europäischer integration.

zwischen den beiden phasen liegt ein bruch in der ökonomischen, sozialen und politischen logik, der in hinblick auf das produktionsregime als übergang vom fordismus zum postfordismus, oder in stärker verallgemeinernder form als beginn der neoliberalen globalisierung gefasst wird. teil dieses umbruches sind entwicklungen auf lokalen und regionalen ebenen, die gleichsam ein pendant zur neoliberalen globalisierung bilden und im folgenden als "postfordistische regionalisierung" bezeichnet werden.

der fordismus, durch industrielle massenproduktion, vertikale institutionalisierung, verrechtlichung des verhältnisses von arbeit und kapital und volkswirtschaftliche umverteilung durch sozialgesetzgebung und wohlfahrtsstaat geprägt[8], war primär auf die regulationsgröße des nationalstaates bezogen, und zielte auf einen ausgleich in diesem rahmen ab. entstandene ungleiche regionale entwicklungen sollten "durch gezielte strukturpolitik, wie bspw. die ansiedelung von industriestandorten in weniger entwickelten regionen, gemildert und eingedämmt werden."[9] die politik zielte explizit auf ausgleich ab, es wurden ökonomische potentiale gleichsam aus prosperierenden regionen in benachteiligte regionen umgeleitet.

die auf verschiedenen ebenen feststellbare desintegration dieser formation - durch neoliberale deregulierung angeheizt und in ihrem verlauf geprägt -, die als postfordismus bezeichnet wird, bedeutet vor allem auch die durchsetzung einer neuen produktionsgeografie. komplementär zur globalisierung der wirtschaft entstanden territoriale effekte und strategien, bei denen die regionalen ebenen stark in den vordergrund traten[10]. die region wurde von wirtschaftswissenschaften und -politiken als relevante räumliche größenordnung im postfordistischen produktionszusammenhang entdeckt: für die cluster und netzwerke, die aus der teilweisen auflösung und 'deregulierung' hierarchisch-zentralistischer großbetriebe entstanden; im kontext der 'embeddedness' wirtschaftlichen handelns in soziale zusammenhänge etc. gleichzeitig fand eine 'deregulierung' auch auf politischer ebene statt, die eine dezentralisierung sowohl in geografischer (regionalisierung) als auch in struktureller (einbeziehung von wirtschaftsverbänden, interessenvertretungen, ngos etc.) hinsicht bedeutete. die entwicklung der 'endogenen potentiale' regionaler und lokaler einheiten - also prozesse, die nicht von außen bestimmt sind, sondern sich aus den 'inneren' entwicklungsmöglichkeiten entfalten - wurde zum schlagwort der regionalpolitik und es wurde eine "territoriale mobilisierung"[11] in gang gesetzt, die bis heute anhält.

etwas schematisierend lässt sich zusammenfassen, dass die regionalpolitik des fordistischen nationalstaats, die darauf abzielte, regionale disparitäten auszugleichen, in den hintergrund trat zugunsten eines ansatzes, der auf die entwicklung jeweils spezifischer regionaler möglichkeiten setzte und damit gleichzeitig ungleichheiten und konkurrenzkämpfe zwischen den regionen erhöhte. wie stark dabei die negativen effekte des neoliberalen kapitalismus zum tragen kommen, ist von der jeweiligen regionenstruktur und natürlich den politischen interventionen auf den verschiedenen territorialen ebenen (regional, nationalstaatlich, europäische ebenen) abhängig.

diese unterschiede v.a. im hinblick auf nationalstaatliche regulationsmöglichkeiten hat susanne heeg am beispiel der reaktionen auf die krise des fordismus in großbritannien und (west)deutschland in den 1980er jahren verdeutlicht. während sich in (west)deutschland die sozialstaatlich und auf territorialen ausgleich orientierte regionalpolitik kaum änderte, "als sich im zuge der krise des fordismus neue problemlagen, nämlich die deindustrialisierung vor allem der altindustriellen regionen wie des ruhrgebiets abzeichnete"[12], wurde eine ähnlich auf sozialen ausgleich abzielende politik in großbritannien abrupt beendet:

"der regierungsantritt thatchers und das erklärte ziel der deregulierung, privatisierung und stärkung der wettbewerbsfähigkeit bedeutete einen wandel in der regionalpolitik. [... es] wurde davon ausgegangen, dass sich die räumlichen disparitäten durch das freie spiel der marktkräfte selbst ausgleichen würden. [...] insgesamt verstärkte der neoliberale wandel in der arbeitsmarkt-, industrie- und regionalpolitik die in großbritannien bestehenden räumlichen ungleichheiten und foricerte sie in richtung von sozialen, ökonomischen und politischen divergenzen. in diesem sinne trägt postfordistische staatliche regulation des neotayloristischen typs zur polarisierung und segmentierung nicht nur von räumen bei, sondern auch innerhalb dieser räume zur sozialen polarisierung."[13]

was die ebene der eu/eg betrifft, wurden seit den 1970er jahren regionalpolitische maßnahmen gesetzt. seit den 1980er jahren wurde dieser policy bereich weiterentwickelt, ebenso wie die regionen auf politischer ebene stärker einbezogen wurden. die regionalpolitik war auf eu/eg-ebene ähnlich wie auf nationalstaatlicher ursprünglich auf ausgleich ausgerichtet, mit reformen ende der 1980er jahre trat aber die orientierung an der entwicklung 'endogener potentiale' der regionen in den vordergrund.[14]

die regionalpolitik der eu folgt zwar nicht unmittelbar neoliberalistischen ideologien wie etwa der im obigen zitat angesprochenen annahme, dass sich räumliche disparitäten durch das freie spiel der marktkräfte selbst augleichen würden. im gegenteil ist der aspekt des ausgleichs explizite zielsetzung der regionalpolitik der eu[15], und die förderung ist auf benachteiligte und im umbruch befindliche regionen konzentriert. es ist hier aber ein zwiespalt zu erkennen, der bis in die einzelnen policy-felder reicht. das neoliberalistische element der eu regionalpolitik liegt in der diesem ausgleich zugrundeliegenden ausrichtung: ziel ist die erhöhung der wettbewerbsfähigkeit der regionen als teil der integration in einen deregulierten europäischen wirtschaftsraum und damit eine einbeziehung in die logik der "postfordistischen regionalisierung". davon sind auch die kulturpolitischen aspekte der regionalpolitik geprägt.

 
3. kultur in der wettbewerbsregion

es sind vor allem zwei argumentative zusammenhänge, über die das kulturelle feld und konstruktionen von 'der kultur' in die logik der 'postfordistischen regionalisierung' integrier- und für die wettbewerbsregion instrumentalisierbar sind: im zusammenhang mit der konstruktion von 'regionaler identität' für die konstituierung 'der region' als subjekt (und für das entsprechende regions-marketing nach innen und außen) einerseits, und über die unmittelbar wirtschaftlichen aspekte, gesehen als teil der wirtschaftlichen gesamtmobilisierung der region andererseits: 'kreativwirtschaft', kulturtourismus, arbeitsplatzbeschaffung, standortfaktor.

im schlagwort von der ausschöpfung endogener entwicklungspotentiale einer region - die sich gleichsam aus den "inneren anlagen" herleiten - ist die zugehörige identitätskonstruktion schon angelegt. das definieren einer grenze, trennung von innen/außen und die homogenisierungen des sozialen/gesellschaftlichen/ökonomischen raumes sind ein zu schaffender ausgangspunkt für das regionale projekt. wichtig ist dabei die funktion für das projekt; die voraussetzungen und konkreten aufgabenstellungen können variieren - konstruieren einer identität für eine administrativ/politisch/ ökonomisch neu geschaffene region, anpassen einer bestehenden identität an neue wettbewerbsbedingungen (von der region, deren identität "immer schon" durch die bäuer/innen des hinterlandes geprägt war zur "küstenregion", weil der tourismus mittlerweile ein viel größeres wirtschaftliches potenzial entwickelt) oder rückgriffe auf/umformungen von elementen historischer identitätskonstruktionen.

die identitätskonstruktion bedeutet in mehrfacher hinsicht ausgrenzung:

"alle identitätsprozesse, die sich auf räume beziehen, unterstellen nicht nur äußere grenzen und bestimmen damit darüber, wer innen und wer außen ist. sie unterstellen auch eine gewisse homogenität der überzeugungen und verhaltensweisen in und für den raum. damit wird der innere fremde produziert, der im raum ist, aber nicht dazu gehört. [...] um die innere und äußere abgrenzung zu stabilisieren, tendiert die räumliche identität zur entfremdung. sie wird nicht mehr als ein kommunikativer prozess empfunden, sondern als selbständige, den menschen übergeordnete seinsform. [...] räumliche identitäten verschärfen diesen prozess, da die grenzen dinglich bestimmt erscheinen."[16]

detlev ipsen weist in diesem zusammenhang darauf hin, dass dies für alle räumlichen ebenen - europäisch, national, regional, lokal - gelte. während dies im zusammenhang mit dem nationalismus zu einer umfassenden kritischen auseinandersetzung geführt habe, finde diese bezüglich der regionalen und lokalen ebenen aber praktisch nicht statt.[17] "regionalbewusstsein" weist darüber hinaus aber nicht nur eine analoge struktur auf wie der nationalismus, es ist  - zumindest in teilen europas - auch historisch als dessen nachahmung und gleichzeitig funktionale ergänzung entstanden.[18]

es ist auch die nationalstaatliche ebene, auf der die denkfigur hegemonial wurde, die funktion von kultur primär als teil (der konstruktion) territorialer identität zu denken. auf regionalen ebenen findet sich einerseits eine kopie dessen, und gleichzeitig formen funktionaler ergänzung, die u.a. aus den sich wandelnden beziehungen region/nation resultieren. (von der stärkeren einbeziehung vor- und/oder antimoderner künstlerischer formen bis zur anderen kontextualisierung der kreativwirtschaft).

während "regionalbewusstsein" und konstruktion territorialer identitäten auf regionalen ebenen eher nachahmungen der und ergänzungen zur nationalen ebene darstellen, kommt bezüglich der unmittelbaren instrumentalisierung des kulturellen feldes für wirtschaftliche ziele der regionalpolitik in europa eine gewisse vorreiterrolle zu. nicht dass die instrumentalisierung des kulturellen feldes für den tourismus oder der hype der creative industries auf regionalen ebenen entstanden wären (analyse und argumentation werden um regionen-spezifische ansätze erweitert); was aber neu ist, ist die unmittelbare politische implementierung dieser prinzipien in der regionalpolitik und regionalentwicklung.

so etwa die mitteilung der europäischen kommission von 1996 zu "kohäsionspolitik und kultur"[19], die sich besonders mit beschäftigungseffekten befasst, und nach wie vor eine wichtige grundlage darstellt für argumentation für kulturförderungen im bereich der eu-regionalpolitik.[20] "as culture is often treated in a manner isolated from other factors of development or image, it will be important to address culture as a more integral part of regional and local development strategies towards new employment." diese in der 'conclusion' angesprochenen strategien werden unmittelbar eingebuden in argumentationen zur konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen regionen, und damit in der logik "postfordistischer regionalisierung" verortet:

"maßnahmen im kulturellen bereich zeigen am meisten wirkung, wenn sie auf dem endogenen potential einer region aufbauen. umgekehrt trägt die förderung von kulturellen produkten und kulturindustrien zur stärkung des regionalen endogenen potentials bei. kulturbezogene unternehmen sind in der regel in starkem maße von lokaler bzw. regionaler zulieferer- und kundenverflechtung abhängig und daher stärker mit einer region oder einem standort verbunden als andere formen produktiver investitionen. außerdem sind die meisten kulturindustrien verhältnismäßig arbeitsintensiv und tragen somit erheblich zur beschäftigung bei. kulturinvestitionen (kulturindustrien ebenso wie kulturelle infrastruktur einschließlich des kulturellen erbes) verbessern die wettbewerbsposition einer region gegenüber anderen konkurrierenden standorten und sind eine besonders wertvolle investition in die regionale oder lokale leistungsfähigkeit."[21]

zur 'klassischen' kulturpolitik auf regionalen ebenen (durch die regionen selbst oder die nationalstaaten), in die neoliberale wirtschaftliche argumente auch schon vielfach aufgenommen worden waren, die aber ihre zuständigkeit weiterhin grundsätzlich in umfassenderer weise definierte, trat eine kulturpolitisch relevante aktionsebene, die mehr oder weniger ausschließlich auf derartigen argumentationen basiert. diese perspektivische verengung war unter anderem deshalb umsetzbar, weil der übergang zu einem neuen politikstil hier schon vollzogen war, wobei diesbezüglich vor allem der projektcharakter relevant erscheint: die regionalentwicklungsprojekte verstehen sich zwar als holistisch - und nicht nur als wirtschaftspolitik -, durch den projektcharakter (als zeitlich begrenzte intervention, bis die region anschluss gefunden hat und 'wettbewerbsfähig' ist) sind sie aber gleichzeitig von einer umfassenderen verantwortung 'entbunden'.

 
II. strategische elemente

regionen und europäische öffentlichkeiten

das kulturelle feld entfaltet gesellschaftliche funktionen vor allem in der schaffung/pluralisierung von öffentlichkeiten. im eipcp-paper anticipating european cultural policies haben therese kaufmann und gerald raunig herausgearbeitet, dass es dabei nicht um die vorstellung einer europäischen öffentlichkeit gehen kann, sondern um eine vielheit von öffentlichkeiten:

"eine einzige europäische öffentlichkeit ist nicht nur unmöglich, sondern wäre auch absolut nicht produktiv, solange sie nicht in der mehrzahl verstanden wird. was zählt, ist nicht die forderung nach oder die konzeptualisierung einer einzelnen öffentlichkeit (egal, ob sie als privilegierten klassen vorbehaltene oder als allumfassende meta-öffentlichkeit vorgestellt wird), sondern die permanente konstituierung vieler öffentlichkeiten, die mit den vielen facetten der in europa lebenden menschen korrespondieren: eine vielheit von öffentlichkeiten, nicht statisch vorgestellt, sondern als das werden artikulatorischer und emanzipatorischer praxen."[22]

diese vielheit von öffentlichkeiten, wie sie durch die tätigkeiten der kultur- und medieninitiativen geschaffen und ausdifferenziert werden, schafft die voraussetzung für partizipation, indem "menschen der zugang zu fundierter, seriöser und vielfacher information und niederschwelligen entscheidungsprozessen ermöglicht wird. innerhalb einer vielheit von öffentlichkeiten ist es ihnen möglich, ihre bedürfnisse aktiv auszudrücken und auszutauschen."[23] sie fördert vor allem "positionen und partizipation von minderheiten gegen alle formen von mehrheitshomogenisierung"[24].

einer der aspekte, durch die sich öffentlichkeiten differenzieren (themen, gesellschaftspolitische zielsetzungen, kommunikationsformen etc.), ist die verortung in einem räumlich geprägten bezugsrahmen. raum kommt eine differenzierungsfunktion zu, "und zwar sowohl in der phase der problementstehung als auch bei der wahl der relevanten lösung, weil er durch spezifische konstellationen von sachlichen, sozialen, ressourcenmäßigen, topographischen, regionsgeschichtlichen etc. einflüssen spezifische voraussetzungen für die problembearbeitung erzeugt."[25]

regionale öffentlichkeiten entwickeln ihre eigene raumstruktur. sie sind nicht "die öffentlichkeit der region x"; zum einen, weil es auch auf regionalen ebenen nicht um die eine öffentlichkeit geht, sondern um eine vielheit von öffentlichkeiten, und zum anderen, weil die region nicht als starre einheit vorgegeben ist, sondern auch öffentlichkeiten ihren eigenen raum ausfalten.

eine spezifische qualität regionaler und lokaler öffentlichkeiten liegt in der räumlichen nähe. gerade das kulturelle feld hat in diesem kontext eine vielfalt an kommunikations- und partizipationsmöglichkeiten entwickelt, z.b. in lokalen kulturinitiativen und -einrichtungen, medienprojekten etc. im hinblick auf europäische öffentlichkeiten betrachtet, ist wesentlich, dies als spezifikum zu erkennen, aber nicht zu verabsolutieren, wie das mitunter auf politisch-institutioneller ebene geschieht. aspekte wie direkte kommunikation und partizipation würden dann nämlich über die absolut-setzung der räumlichen nähe gleichsam an die regionale ebene delegiert. partizipation ist jedoch ein konstituierendes element jeder öffentlichkeit, im lokal-räumlichen kontext ebenso wie in der mailinglist.

 
wissen vor ort

die instrumentalisierung des kulturellen feldes für die konstruktion regionaler identitäten zu kritisieren bedeutet nicht, dass die jeweiligen regionalen zusammenhänge, die regionale geschichte, die formen von "regionalbewusstsein" usw. als thema ignoriert oder ausgeblendet werden.

im gegenteil: künstlerische prozesse und projekte regionaler kultur- und medieninitiativen hinterfragen die identitätskonstruktionen und unterziehen "die regionalgeschichte" neuen lesarten. sie machen die ausgrenzungen sichtbar, auf denen der homogenisierte sozial- und gesellschaftsraum basiert, und kratzen an den erratischen blöcken vereinheitlichter "überzeugungen und verhaltensweisen in und für den raum"[26].

so entwickelt sich ein kritischer materialismus des wissens vor ort, der zu "identitäten" und "systemen" erstarrte prozesse aufsprengt - nicht nur in bezug auf den regionalen kontext, sondern gerade auch als differente lokale wahrnehmung gegenüber abstraktionen mit allgemeinem gültigkeitsanspruch -, und dessen potenzial für radikale umdeutungen sich in bewegungen wie der "exkursionistik"[27] in der frühen sowjetunion andeutet.

in kulturprojekten werden die konkreten lokalen auswirkungen transnationaler prozesse kritisch reflektiert. seien es die oben skizzierten veränderungen in der produktionsgeografie, oder seien es - hier als exemplarisches beispiel genannt: die erfahrungen in grenzregionen, etwa an den gerade neu entstandenen eu-außengrenzen, wo regionale zusammenhänge durch das regime der grenze unterbrochen werden. kulturprojekte greifen diese erfahrungen auf; sie schöpfen gleichsam aus dem raum, gehen aber auch über ihn hinaus, öffnen durch mobilität und vernetzung neue räume. was sich in diesen neuen räumen verdichtet, ist eine kritische wahrnehmung der mikrophysik transnationaler prozesse - des erweiterungsprojektes der europäischen union, der globalisierung wirtschaftlicher zusammenhänge etc.

 
nicht-additive[28] europäische vernetzung

die entwicklungen auf regionalen ebenen sind ein effekt transnationaler prozesse. die wettbewerbszusammenhänge, in denen sich die regionen befinden, sind auf globale oder zumindest eu-größenordnungen bezogen. selbst in den methoden, die darauf abzielen, regionen als identitäre konstruktionen zu konstituieren, spiegelt sich dieser kontext:

"what is striking about local strategies at the present is just how unlocal they are. workforce training, the erosion of social protection, the construction of science and business parks, the vigorous marketing of place and the ritual incantation of the virtues of international competitiveness and public-private partnership seem now to have become almost universal features of so-called 'local' strategies. in this sense, the local really has gone global. the explanation for the staggering lack of originality in local strategies does not lie in these localities themselves, with some shortfall in wit and imagination on the part of local actors. rather, it is a reflection of the global context within which these strategies are being formulated."[29]

hier stehen nicht einfach 'das lokale/regionale' und 'das globale' einander gegenüber; die prozesse von (re-)territorialisierung und entterritorialisierung sind kleinteiliger und subtiler. martin heidenreich sieht in seinem aufsatz "territoriale ungleichheiten in der erweiterten eu" die europäische union vor einer ähnlichen aufgabe stehen, wie sie die nationalstaaten bewältigt haben, nämlich einer "entterritorialisierung regionaler spaltungen, interessen, ideologien und identitäten", unter anderem durch die "transformation regionaler ungleichheiten in klassen- und schichtspezifische oder individuelle ungleichheiten":

"erstens wurde durch branchen- oder landesweite tarifvertragsbeziehungen zwischen gewerkschaften und arbeitgeberverbänden 'das relative gewicht der klassenspaltung gegenüber territorial-kulturellen spaltungen vergrößert' (peter flora). an die stelle regionaler, identitätsgestützter konflikte entwickelten sich im laufe der industrialisierung kollektive auseinandersetzungen zwischen gewerkschaften und arbeitnehmern. diese interpretierten (auch territorial) unterschiedliche lebenslagen und ressourcenverteilungen als verteilungskonflikte zwischen verschiedenen klassen und schichten und arbeiteten sie entsprechend klein. [...] zweitens hat auch die entwicklung sozialstaatlicher sicherungssysteme einer territorialen interpretation sozioökonomischer differenzierungen entgegengewirkt, da sozialstaatliche leistungen allen staatsbürgern unabhängig von ihrem wohnort gewährt werden. drittens begünstigen auch nationale ausbildungssysteme eine nichtterritoriale interpretation sozioökonomischer heterogenität, da die durch das bildungssystem reproduzierten ungleichheiten entweder als individuelle oder als schichtspezifische ungleichheiten verstanden werden."[30]

dass problemlösungen und weiterentwicklungen weniger denn je isoliert gedacht "in der region selbst" stattfinden können, sondern transnationaler vernetzung bedürfen, scheint außer streit zu stehen. differenzierter ist die frage nach der art der vernetzungen. prozesse der umformung von territorialen in nicht-territoriale konflikte (und potenziell umgekehrt), wie sie heidenreich hier plastisch beschreibt, sind nicht reflektierbar in vernetzungen und austauschprojekten, die ausschließlich räumlichen logiken folgen und horizontal aufgebaut sind, also nach dem modell region a - region b - region c.

weniger vereinheitlichende formen, wie sie etwa in den europäischen kulturellen netzwerken entstanden sind, erscheinen als ausgangspunkt besser geeignet: eine vernetzung heterogener akteur/innen entlang bestimmter künstlerischer/thematischer/politischer fokussierungen, in denen diskurse, informationen, lösungsmodelle und kritik quer zu den territorialen ebenen zirkulieren können. die personen, die sich hier vernetzen, und ihre organisationen, verkörpern eine vielzahl räumlicher arbeitshorizonte: regionale kulturinitiativen, europäische festivals, austauschprojekte mit der arabischen welt, internetplattformen, nationale künstler/innenverbände etc. aus der heterogenität dieser horizonte können sich zu jedem konkreten einzelnen anliegen kooperationen in der adäquaten zusammensetzung bilden.

 
kulturpolitik und regional governance

mit der veränderten rolle des staates haben sich im postfordismus auch neue politikstile entwickelt, was oft als übergang von government zu governance beschrieben wird, bzw. als übergang zur steuerung politischer prozesse durch policy-netzwerke. angesprochen ist damit einerseits die einbeziehung eines erweiterten teilnehmer/innenkreises: in die gestaltung und implementierung von politiken werden auch unternehmensverbände, interessenvertretungen, ngos usw. einbezogen. hinter der beschönigenden formel "übergang vom vormundschaftlichen zum ermächtigenden staat" ist aber auch der rückzug aus politischer verantwortung greifbar.

für die regionalen ebenen ist das in mehrfacher hinsicht bedeutsam: die dezentralisierung politischer entscheidungsprozesse beinhaltet auch eine verräumlichung (einbeziehung von z.b. regionalen 'akteur/innen'). gleichzeitig sind die regionalen ebenen als insgesamt relativ neue erscheinung im politisch-institutionellen spektrum wandelbarer[31] und damit 'offener' für neue politikstile.

die politisch-institutionellen voraussetzungen sind dabei in den einzelnen fällen sehr unterschiedlich. dies betrifft einerseits die strukturen in den verschiedenen europäischen staaten zwischen zentralismus und föderalismus, also die frage, ob regionale ebenen als politische ebenen ausgestaltet sind, oder nur als verwaltungs- oder statistische einheiten.[32] andererseits beziehen sich die regionalen mobilisierungen auf territorien, die nur zum teil mit den politisch-administrativen zusammenfallen. es handelt sich also nur zum teil etwa um das bundesland eines föderalen staates; oft entstehen aber neue und kleinere einheiten: ein territorium um eine großstadt schließt sich zu einer metropolregion zusammen, es entstehen regionen im kontext von förderungs- und regionalentwicklungsprogrammen, wirtschaftsregionen institutionalisieren sich, um eine eigene standortpolitik zu entwickeln, etc.

die politikstile setzen sich - differenziert vor allem nach diesen institutionellen gegebenheiten - mehr oder weniger schnell und umfassend durch. die regionalen 'mobilisierungen' umfassen auch kulturpolitische elemente, wobei die logik oft darin besteht, dass diese politiken teil eines zeitlich begrenzten regionalen projektes sind, und die einschränkung auf identitätskonstituierende und/oder wirtschaftliche funktionen von kultur die gleichsam nicht verhandelbare voraussetzung bildet, unter der dann implementierungsprozesse stattfinden, in die kulturschaffende einbezogen werden.

damit das kulturelle feld die angesprochenen gesellschaftlichen/demokratiepolitischen funktionen wie die pluralisierung von öffentlichkeiten erfüllen kann, müssen kulturschaffende die möglichkeit haben, ihre arbeit jenseits derartiger instrumentalisierungslogiken zu entwickeln, und über finanzierungen im rahmen von policy-projekten hinaus auch auf stabilere förderungspartner/innen zählen zu können.

dazu können kulturpolitische maßnahmen auf regionalen, nationaler und eu-ebene beitragen: einerseits durch die orientierung an der zielsetzung, auf regionalen ebenen möglichst umfassende und 'vollständige' kulturpolitiken zu schaffen bzw. zu erhalten, und zu verhindern, dass in bestimmten regionen oder auf bestimmten regionalen ebenen die kulturpolitischen elemente regionaler entwicklungsprojekte die einzige oder prägende form von kulturpolitik darstellen. andererseits durch eine inhaltliche weiterentwicklung der kulturpolitischen elemente in nationalen und europäischen regionalentwicklungspolitiken, um jene elemente zu stärken, die über die instrumentalisierungslogiken hinausweisen (etwa die förderung transnationaler kooperation) - und dies in unterschiedlichen formen auf den verschiedenen in die implementierung einbezogenen ebenen (z.b. in den konkreten programmplanungsdokumenten ebenso wie bei der formulierung der zielsetzungen der strukturfonds).

 
territorialität, migration, prekarisierung

die form transversaler kooperationen, in der viele kunstprojekte und kulturinitiativen zusammenarbeit realisieren, haben ein hohes potenzial zur produktiven verknüpfung verschiedener gesellschaftspolitischer aspekte und zusammenhänge. sie haben also auch das potenzial, territorialität mit anderen gesellschaftspolitischen aspekten zu verknüpfen, die darüber hinausweisen, bzw. bestimmte aspekte von terrirorialität verstärkt herauszuarbeiten; und zwar in einer form, die diese zusammenhänge nicht nur abbildet und reflektiert, sondern aktiv in der gesellschaftlichen und politischen realität bearbeitet.

ein wichtiger zusammenhang ist dabei migration. auch wenn sich die staatsbürger/innenschaft als primärer ausschlussmechanismus transnationaler migrant/innen auf die nationalstaatliche und nicht auf die regionalen ebenen bezieht, setzen sich die mechanismen auf dieser fort - durch die regionalen tendenzen zur homogenisierung des sozialen raumes, durch die ausbeutung "illegaler" migrant/innen als billigarbeitskräfte in der regionalen wirtschaft etc. der aufbau migrantischer öffentlichkeiten als teil der selbstorganisation von migrant/innen, in dem (und für deren vernetzung in verschiedenste richtungen) kultur- und medieninitiaven von großer bedeutung sind, ist eine wesentliche voraussetzung für den nachhaltigen abbau dieser rassistischen mechanismen.

weniger offensichtlich als der zusammenhang von territorialität und migration dürfte jener mit anderen aspekten des postfordismus sein. ansatzpunkte bilden hier vor allem die veränderungen in den arbeitsverhältnissen - flexibilisierung, prekarisierung, verstärkte kapitalisierung affektiver arbeit etc.

den künstler/innen und kulturschaffenden ist hier bis zu einem gewissen grad eine unfreiwillige avantgarde-rolle zugekommen - das kulturelle feld als labor prekarisierter arbeitszusammenhänge.[33]. es sind jedoch auch reflexionszusammenhänge und widerständige praxen entstanden - von den bekannten streiks in frankreich im zusammenhang mit den sog. "intermittents"[34] bis zu einer vielzahl von projekten, die an den vorgefundenen (eigenen) arbeitszusammenhängen experimentelle veränderungen erproben.

die zusammenhänge zwischen regionalität und prekarisierung sind etwa am beispiel der norditalienischen wirtschaftsregionen greifbar. diese bilden eines der meistdiskutierten beispiele für durch netzwerke aus klein- und mittelbetrieben geprägte wirtschaftsregionen, die aus der "deregulierung" fordistischer großbetriebe entstanden sind. sie sind gleichzeitig das bekannteste beispiel für die entstehung prekarisierter arbeitszusammenhänge aus derartigen prozessen.[35]

noch unmittelbarer wahrnehmbar wird der zusammenhang raum/prekarisierung in praxen wie jener der madrider forschungs-/aktivismus-initiative precarias a la deriva. eine gruppe von frauen hatte mitte 2002 darauf reagiert, dass ihre prekarisierten jobs im spanischen generalstreik in keiner weise eine rolle spielten - weder hatten sich die gesetzlichen bestimmungen damit beschäftigt, noch die gewerkschaften. sie beschlossen, "den streiktag zusammen zu verbringen, gemeinsam durch die stadt zu ziehen, die klassische streikpostenkette in eine streikpostenuntersuchung umzuwandeln und mit frauen über ihre arbeit und ihr leben zu sprechen"[36]. ähnliche streifzüge fanden in den folgenden monaten fast wöchentlich statt:

"wir wählten eine methode, die uns auf verschiedenen wegen durch die urbanen kreisläufe feminisierter prekärer arbeit führte, einander gegenseitig unsere alltagsumgebungen zeigend, in der ersten person sprechend, erfahrungen austauschend und gemeinsam reflektierend. diese derivas durch die stadt widersetzen sich der trennung von arbeit und leben, produktion und reproduktion, öffentlich und privat, und zeichnen so das raum-zeitliche kontinuum unserer existenzen, die doppelten (oder multiplen) präsenzen, nach."[37]

 
III. vorschläge

kulturpolitik auf regionalen ebenen ist ein komplexes handlungsfeld und bildet ein wichtiges element bezüglich der pluralisierung europäischer öffentlichkeiten. das vorliegende positionspapier hat versucht, vorschläge für eine regionale kulturpolitik im europäischen kontext jenseits der instrumentalisierung von kultur für identitätskonstruktionen und creative industries zu formulieren:

- förderung der pluralisierung von regionalen öffentlichkeiten als teil des konzeptes einer vielheit europäischer öffentlichkeiten

- förderung der transnationalen vernetzung von projekten, die kritisch in den regionalen gesellschaftspolitischen kontext intervenieren

- hinausgehen über das modell eines primär 'bilateralen' oder 'multilateralen' austausches zwischen einzelnen regionen zur verstärkten förderung der partizipation regionaler kulturinitiativen in europäischen vernetzungen

- schaffung/erhaltung möglichst umfassender und 'vollständiger' kulturpolitiken auf den verschiedenen regionalen ebenen, um kulturpolitik nicht auf die logik instrumentalisierender regionaler entwicklungsprojekte zu reduzieren

- inhaltliche weiterentwicklung der kulturpolitischen elemente von regionalentwicklungsprogrammen auf regionalen, nationaler und eu-ebene. stärkung und ausbau jener förderungsansätze, die demokratiepolitische funktionen und transnationalen austausch unterstützen.

- förderung migrantischer projekte auf regionalen ebenen und ihrer vernetzung

- besondere unterstützung von projekten, die die transnationalen aspekte regionaler prozesse sichtbar machen

- weiterentwicklung regionaler kulturpolitik im kontext der kulturpolitiken auf anderen ebenen - lokal, national, europäisch.

 

ausgewählte literatur

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franco berardi bifo, "what is the meaning of autonomy today?" http://republicart.net/disc/realpublicspaces/berardi01_en.htm (EIPCP multilingual webjournal), "was heißt autonomie heute? rekombinantes kapital und das kognitariat" http://republicart.net/disc/realpublicspaces/berardi01_de.htm

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karl schlögel, im raume lesen wir die zeit. über zivilisationsgeschichte und geopolitik, münchen, wien: hanser 2003



[2] http://www.cor.eu.int/, im vertrag von maastricht wurden fünf sachbereiche festgelegt (im vertrag von amsterdam erweitert), in denen kommission und rat bei legislativvorschlägen eine stellungnahme des ausschusses der regionen einholen müssen. dies umfasst auch die bereiche kultur und bildung. vgl. auch die entsprechende stelle im "kulturartikel" (cig 86/04, vorläufige konsolidierte fassung des vertrags über eine verfassung für europa, artikel III-181 (ex-artikel 151 egv), 5)a)) http://ue.eu.int/igcpdf/de/04/cg00/cg00086.de04.pdf

[3] vgl martin heidenreich, "territoriale ungleichheiten in der erweiterten eu", in: kölner zeitschrift für soziologie und sozialpsychologie, jg. 55, heft 1, 2003, s. 31–58;
http://www.uni-bamberg.de/sowi/europastudien/
dokumente/ungleichheiten2003.pdf

[4] dieter läpple, "essay über den raum", in: hartmut häussermann (hg.), stadt und raum: soziologische analysen, pfaffenweiler: centaurus verlag 21991, s. 157-207, hier s. 189; http://www.tu-harburg.de/
stadtplanung/html/ab/ab_106/ag_1/
publikationen/laepple/essay.pdf

[5] so etwa der standorttheoretische/raum- u. regionalwissenschaftliche ansatz in der geografie, der aus der kritik am landschaftsgeografischen entstanden ist. (vgl. serena junker, "regionalisierung als antwort auf steuerungs- und entwicklungsprobleme moderner gesellschaften?", in: sabine feiner, karl g. kick, stefan krauß (hg.), raumdeutungen: ein interdisziplinärer blick auf das phänomen raum, hamburg: lit 2001, s. 151-193, hier s. 154). läpple (a.a.o) erarbeitet sein gesellschaftswissenschaftliches konzept eines 'matrix'-raumes auf der basis des relationalen raummodelles (s. 194-201) und zeigt die grenzen des etwa von francois perroux als alternative zum 'behälter'-raum verwendeten mathematischen modells der 'abstrakten räume' auf. (s. 191 ff.)

[6] gerhard brunn: "regionalismus in europa", in: nitschke (hg.), die europäische union der regionen, leske+budrich 1999, s. 19-38, hier s. 19

[7] vgl. michael keating, "the invention of regions: political restructuring and territorial government in western europe", in: neil brenner, bob jessop, martin jones, gordon macleod (ed.), state/space. a reader, blackwell publishing 2003, s. 256-277, hier s. 258/259, 263

[8] vgl. junker (a.a.o.), s. 176

[9] vanessa redak, "endogene entwicklungspotentiale? lokale handlungsspielräume im postfordismus" http://www.beigewum.at/redak.htm

[10] eine umstrukturierung mit tendenzen zur regionalisierung, aber natürlich auch zur entregionalisierung: "mit der herausbildung dieser städtehierarchie [der global cities, rm], die sich aus dem grad der zentralisierten kontrolle über ein geografisch disperses produktionssystem ergibt, ist aber gleichzeitig eine 'entregionalisierung' verbunden. die rangstellung und das ökonomische potential dieser städte beruhen immer weniger auf ihren zentralörtlichen funktionen für die umgebende region, sondern auf transregionalen kommando-funktionen und dem potential zur zentralisierung von kapitalströmen und zur aneignung von werten." (junker, a.a.o., s. 172)

[11] c. hadjimichalis, zit. n. redak (a.a.o.)

[12] susanne heeg, "endogene potentiale oder footlose capitalism? einige anmerkungen zur sozialen regulation des raums", in: michael bruch, hans-peter krebs (hg.), unternehmen globus, westfälisches dampfboot 1996, s. 199-223, hier s. 214

[13] heeg (a.a.o), s. 212/213

[14] vgl. redak, a.a.o.

[15] "die union entwickelt und verfolgt weiterhin ihre politik zur stärkung ihres wirtschaftlichen, sozialen und territorialen zusammenhalts, um eine harmonische entwicklung der union als ganzes zu fördern.
die union setzt sich insbesondere zum ziel, die unterschiede im entwicklungsstand der verschiedenen regionen und den rückstand der am stärksten benachteiligten gebiete oder inseln zu verringern." (cig 86/04, vorläufige konsolidierte fassung des vertrags über eine verfassung für europa, artikel III-116 (ex-artikel 158 egv)) http://ue.eu.int/igcpdf/de/04/cg00/cg00086.de04.pdf

[16] detlev ipsen, "regionale identität. überlegungen zum politischen charakter einer psychosozialen raumkategorie", in: rolf lindner (hg.), die wiederkehr des regionalen. über neue formen kultureller identität, frankfurt am main / new york: campus 1994, s. 232-254, hier s. 250/251

[17] ipsen, a.a.o., s. 251

[18] rüdiger gans, detlef briesen, "das siegerland zwischen ländlicher beschränkung und nationaler entgrenzung: enge und weite als elemente regionaler identität", in: lindner, a.a.o, s. 64-90

[20] vgl.  "structural funds, enlargement and the cultural sector", a discussion paper written for efah by pyrrhus mercouris, 2002, http://www.efah.org/en/policy_development/structural_funds/structural.pdf

[21] COM/1996/502, a.a.o, s. 10

[22] therese kaufmann, gerald raunig, anticipating european cultural polices / europäische kulturpolitiken vorausdenken, wien 2003, s.74 http://www.eipcp.net/policies/index.html, siehe auch: dragan klaic, "the emerging european public spheres", in: european cultural foundation (ed.), "sharing cultures: a contribution to cultural policies for europe", conference, 11-13 july 2004, s. 63/64

[23] ebd., s. 75

[24] ebd.

[25] junker, a.a.o., 168/169

[26] zipser, a.a.o.

[27] "es hat immer wieder versuche gegeben, das in der erkundungsreise beschlossene potential an erfahrung, erkenntnis, reflexion systematisch zu fassen, in regeln zu bringen, um es zu verfeinern und vor allem um es weitergeben zu können - in ausbildung, erziehung, schule, wissenschaft. [...] sowohl die frühen arbeiten von riehl wie die späteren von hessel und benjamin belegen, dass es sich um eine tendenz der zeit, das visuelle und die reflexion darüber zusammenzubringen, gehandelt hat. vollends wird dies klar, wenn man die in der frühen sowjetunion unter dem namen der 'exkursionistik' ('ekskursionistika') unternommenen versuche, die kulturelle topographie von städten und landschaften zu dechiffrieren, betrachtet. es ging dabei um die stiftung einer neuen tradition der bewussten, von mythen und legenden bereinigten aneignung der kulturellen welt, wie sie in der ikonographie der landschaft, in gebauter geschichte und kultur sichtbar waren. ihre anfänge deuten auf die stürmische entfaltung einer breiten geschichtsbewegung in einem von der revolution aufgewühlten land hin. es ist bezeichnend, dass die exkursionistik und die sie tragende russische landes- und städtekunde - verkörpert in gestalten wie nikolaj p. anziferow und iwan m. grews - zu den ersten opfern der stalinistischen gleichschaltung gehörten und grausam zerschlagen wurden, lange bevor das land im jahre 1937 vom großen terror überzogen wurde" (karl schlögel, im raume lesen wird die zeit. über zivilisationsgeschichte und geopolitik, münchen, wien: hanser 2003, s. 265)

[28] vgl. dazu allgemein die diskussion um transversalität und verkettung in der ausgabe mundial des republicart-webjournals: hito steyerl, "die artikulation des protestes" (http://republicart.net/disc/mundial/steyerl02_de.htm); gerald raunig, "here, there AND anywhere " (http://republicart.net/disc/mundial/raunig05_de.htm)

[29] jamie peck, adam tickell, "searching for a new institutional fix: the after-fordist crisis and the global-local disorder", in: ash amin (ed.) post-fordism. a reader, blackwell 1994, s. 280-315, hier s. 281

[30] heidenreich, a.a.o., s. 37; heidenreich weist in diesem zusammenhang darauf hin, dass die nationalstaaten nicht nur die struktur von konflikten verschoben haben, sondern auch tatsächlich regionale ungleichheiten verringert hätten. das zitat im zitat: peter flora: "einführung und interpretation", in: stein rokkan, staat, nation und demokratie in europa, frankfurt am main: suhrkamp 2000, s. 14-119, hier s. 118

[31] auf diesen aspekt weist etwa michael keating in einem anderen zusammenhang hin: die regionen bieten dadurch bessere möglichkeit für neue soziale bewegungen, um fuß zu fassen. (keating, a.a.o., s. 266)

[32] vgl. "culture and regions", study commissioned by the region nord-pas-de-calais, france, for the “international days, culture and regions of europe”, 27th-30th october 2004

[33] vgl. etwa andrea ellmeier, "prekäre arbeitsverhältnisse für alle?", in: kulturrisse 01/03 http://igkultur.at/igkultur/kulturrisse/1046078977/1046165243

[35] vgl. etwa: franco berardi bifo, "was heißt autonomie heute? rekombinantes kapital und das kognitariat" http://republicart.net/disc/realpublicspaces/berardi01_de.htm

[36] precarias a la deriva, "streifzüge durch die kreisläufe feminisierter prekärer arbeit" http://republicart.net/disc/precariat/precarias01_de.pdf, s. 1

[37] ebd., s. 1/2