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Gegen die Zeit

Deleuzianische Analysen sozialer Kämpfe sind im deutschsprachigen Raum eine Seltenheit. Gerald Raunig zeigt, warum das nicht so bleiben sollte.

In zwei kurzen Schriften widmet sich der österreichische Philosoph Gerald Raunig aktuellen Auseinandersetzungen in der Universität und um die Creative Industries. Fabriken des Wissens beginnt dabei mit einem bekannten Topos: Dem Auszug der Arbeiter aus der Fabrik und die damit einhergehende, massenhafte Inwertsetzung kognitiver und immaterieller Arbeit. Zeitgleich beginnt jedoch eine Veränderung der Universität hin zu einer »modulierenden Universität«, zu deren Tendenzen Raunig die Verschulung der Lehre, eine steigende Verschuldung der Studierenden, die Rasterung und Messung von Wissen und Schreibformen sowie rigide Ausschlussmechanismen durch Ethnizität, Geschlecht und Schicht zählt.

Diese Universität übernimmt die Rolle der Fabrik als eines Raums gemeinsamer Erfahrung. Raunig macht hier zwei Formen des Widerstands einer »immanenten Desertion« aus. Innerhalb der Institution zeigt sich dieser, wenn man Druck nicht nach unten weitergibt oder peer reviews bestreikt. Außerhalb der Universität wird Widerstand in der Gründung von alternativen Formen der Wissensvermittlung wie selbstorganisierte Kollektiven oder Zeitschriftenprojekten sichtbar. Raunig entwirft für diese Situationen die Figur des »ausstehenden Lehrers«, der lehrt, ohne dass Wissen »in einer privilegierten Mitte angesiedelt und monopolisiert« wird. Das Äquivalent auf ‘Schülerseite’ sind »orgische Bündel der Wissensproduktion« – wie sie z.B während der Universtitätsstreiks 2009 oder in langfristiger wirkenden tätigen Zusammenschlüssen wie den argentinischen colectivo situationes sichtbar sind.

In Industrien der Kreativität widmet sich Raunig den »Creative Industries« und ihren speziellen Formen von Subjektivierung in den Kleinbetrieben der Kreativbranche. Diese Anrufungen der Kreativität eines Individuums, die einer »modularisierenden Inwertsetzung der Zeiten der Kreativität« dienen sollen, stehen dabei im Kontrast zu einer Form von Geschäftigkeit als »wilde, ungefügige, orgische Industrie.« Als Beispiel führt er ein Kulturprojekt in einem Industriegebiet bei Mailand an, wo diese beiden Formen in Konflikt miteinander geraten sind. Während sich die Anrufung von Kreativität inkl. ihrer räumlichen Ausprägung in Formen von White Cube-Kunst, ‘kreativer’ Zwischennutzung und damit einhergehender Wiederinwertsetzung ausdrückte, kam es auf dem gleichen Gelände auch zu einem transversalen Überschreiten der Grenzen der Kunst, die in die spezifischen Kämpfe um eine Nutzung des Ortes für soziale und politische Initiativen eingriff.

Ähnliche Formen des Widerstands sieht Raunig bei zwei anderen Ereignissen. 2003 kam es in Frankreich zum Streik der »Intermittents«, prekär beschäftigter KulturarbeiterInnen, die gegen den Verlust des Zugangs zur regulären Arbeitslosenversicherung protestierten. Die »Intermittents« sprengten eine Castingshow und ihre »exhibitionierenden Vereinnahmung von Alltags-Kreativität«. Damit zeigten sie auch die Grenzen der Reterritorialisierung von Kreativität auf: In einer langen Werbepause wurden sie aus dem Studio geprügelt. Die zweite Strategie ist die des Kunststreiks. Der österreichische Künstler Gerald Metzger rief 1974 dazu auf, drei Jahre lang keine Kunst zu produzieren oder zu verkaufen, keine Ausstellungen zu unterstützen und die Medien des Kunstbetriebs zu boykottieren. Von 1977–1980 führte er diesen Streik im Kunstfeld, das »nicht nur durch die extremes Konkurrenzverhalten, hohen Innovationsdruck (…) geprägt ist, sondern vor allem durch die spezifische Glätte seiner Zeitlichkeit«, alleine durch. Der Widerstand gegen diese Form von Zeitlichkeit verbindet Metzgers Aktion mit den Besetzungen des letzten Jahres in New York, Tel Aviv oder Madrid, auf denen sich die »Industrious Workers of the World« versammelt haben, um sich nicht länger »die Zeit stehlen zu lassen«.

Raunigs Bände mischen sich in laufende Debatten ein, indem er neoliberale Praxen mit dem Begriffssystem von Gilles Deleuze und Felix Guattari beschreibt und dieses dadurch erneut moduliert. Durch diesen Fokus rücken Fragestellungen in den Hintergrund, die sich bei dieser Thematik ebenfalls anbieten würden - die post-operaistischen Debatten um das Verhältnis von Rente und Profit bei immaterieller Arbeit zum Beispiel. Ebenfalls bleibt offen, wie Raunigs Analyse ausfallen würde, wenn er sich ‘klassischeren’ Formen sozialer Kämpfe, z.B. in der tayloristischen Produktion von Computern, widmen würde.

Die große Stärke der beiden Büchlein ist jedoch, dass Raunig seine Fluchtlinien zur Modulation an die Bewegungen zurückgibt, indem er erst gar nicht den Versuch unternimmt, sie programmatisch zu formulieren. Damit steht der Inhalt der Texte in einem angenehmen Kontrast zu ihrer Form, die das nomadische Schreiben von Deleuze und Guattari gegen einen fast schon didaktischen Stil eintauscht. Dadurch erweisen sich diese Broschüren aber als besonders zeitgemäß – wie sonst sollte man ein kritisches Werk heute verfassen, damit es von denjenigen, deren Situation es beschreiben will, auch gelesen wird?

Raunig, Gerald. Fabriken des Wissens. Streifen und Glätten 1 und Industrien der Kreativität. Streifen und Glätten 2. Diaphanes: Zürich, 2012. jeweils 10,00 €


in: Analyse & Kritik 571 (20.4.2012), S. 34