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City Views. Ein Fotoprojekt mit migrantischen Perspektiven

Rezension von Vina Yun

Die Publikation "City Views" ist die Dokumentation eines von Martin Krenn initiierten, künstlerischen Projektes, die vor zwei Jahren im Rahmen von republicart begann. Die Städte, auf die sich der Blick richtet, sind Wien, Graz, Ljubljana, Helsingborg, London, Newcastle, Brüssel sowie Warschau und die französische Hafenstadt Brest. In Zusammenarbeit mit 25 StadtbewohnerInnen mit unterschiedlichen migrantischen Hintergründen realisierte Krenn eine thematisch strukturierte – und nicht nach geographischen Gesichtspunkten geordnete – Foto-Text-Serie, die die Bilder unterschiedlicher Orte/Räume mit den Erzählungen über die Erfahrungen von Migration, Fremdsein und Rassismus miteinander verbindet.

Die Bilder zeigen "Orte der Macht" – wie etwa das Wiener Rathaus, hinter deren Fassade eine "Einbürgerungsmaschine ein Gleichgewicht aufgrund eines ausgeklügelten Auswahlverfahrens herzustellen [versucht]". Es sind Orte, die in den individuellen und kollektiven Erfahrungen der in das Projekt involvierten Personen eine relevante Funktion hinsichtlich der mit dem "MigrantInnen"-Status verbundenen, gesellschaftlichen Ein- und Ausschlüsse besitzen. Ebenso wurden aber auch Orte des Widerstands oder "Gegen-Orte" fotografisch festgehalten: angeeignete, emanzipatorisch besetzte Räume wie die "Universal Embassy" in Brüssel, die von den Sans-Papiers selbstverwaltet betrieben wird. Die Auswahl der Orte trafen die Beteiligten selbst, auch die Art und Weise, wie diese abgebildet wurden, wurde in gemeinsamer Arbeit entwickelt. Allerdings geht es hier nicht um das Porträt von "migrantischen Schicksalen", sondern, wie Martin Krenn seine prozesshafte Recherche zusammenfasst, darum, "die Stadt aus der Sicht von Leuten mit migrantischem Hintergrund zu interpretieren".
Dieser subjektive Blick verleiht den von den "StadtführerInnen" aufgesuchten Plätzen eine eigene Geschichte: Auf diese Weise erhalten Orte, die sonst kaum wahrgenommen werden – etwa eine Tankstelle oder eine bestimmte Ecke im Park – oder Plätze, die ihre ursprüngliche Funktion verloren haben, eine neue, in manchen Fällen vielleicht überhaupt Bedeutung.

Der bei Turia+Kant erschienene, zweisprachige (Deutsch/Englisch) Band umfasst neben der Foto-Text-Serie drei kommentierende Aufsätze von Marina Gržinić, Rubia Salgado sowie Stefan Nowotny. Marina Gržinićs Beitrag nimmt kritisch Bezug auf die hegemonialen Vorstellungen urbaner Orte – mitsamt ihren brüchigen Strukturen, wie sie in der Diskrepanz von Bild und dem von den StadtbewohnerInnen erzähltem Text sichtbar werden, und entlarvt "Städte als konstruierte Narrative mit Geschichten über Macht und ökonomische Interessen". In diesem Sinne stelle die Etablierung einer Gegenöffentlichkeit wie Metelkova in Ljubljana – eine verlassene Kaserne der ehemaligen jugoslawischen Armee, die 1993 von KünstlerInnen und AktivistInnen besetzt wurde – mit der Schaffung neuer "Systeme kultureller und sozialer Interaktion" einen notwendigen "Akt der Re-Artikulierung öffentlichen Raums" dar.

Stefan Nowotny widmet sich in seinem Text der "Universal Embassy" in Brüssel. Das Gebäude der somalischen Botschaft verlor aufgrund des Bürgerkriegs in Somalia und mangels einer international anerkannten Regierung sowohl ihre bisherige Funktion als auch ihren rechtlichen Eigentümer. Im Jänner 2001 besetzte eine Gruppe von Sans-Papiers das Haus und begründete jene "universelle, außerterritoriale Botschaft". Sie ist primär ein Zufluchtsort, doch wie es der Universal-Embassy-Mitbegründer Tristan Wibault formuliert, stellt sie auch eine erkämpfte Basis dar, auf der die Sans-Papiers eine öffentliche Stimme entwickeln können: "Die Gesamtheit der Aktivitäten zielt darauf ab, die Sans-Papiers im Kampf um die Anerkennung ihrer Rechte zu rüsten, ihnen das Vertrauen in ihre Mittel wiederzugeben. Ein Jenseits des Überlebens kristallisiert sich langsam heraus – an einem Ort, der mehr ist als eine Notunterkunft. Die BewohnerInnen sind das politische Subjekt, sie organisieren das Leben."

Die Kooperation zwischen KünstlerInnen und MigrantInnen ist Thema in Rubia Salgados Beitrag. Das Bemühen um symmetrische, egalitäre Formen der Zusammenarbeit und die Partzipation der Beteiligten auf allen Ebenen erweist sich auch – oder gerade – in antirassistischen Projekten als immer wieder diffizil und verletzlich. Seine eigene Position als Künstler innerhalb des "City Views"-Projektes hat Martin Krenn selbst durchaus zur Diskussion gestellt: "Meine Projekte sind prozessorientiert, ändern sich und schlagen oft andere Wege ein. Gegenseitige Kritik mit und von meinen jeweiligen ProjektpartnerInnen ist ein Teil davon. Mir ist allerdings klar, dass ich in einer privilegierten Position bin, wo wir wieder bei der Repräsentationsfrage sind."
Allerdings wird im Band selbst auf das Verhältnis zwischen Künstler und MigrantInnen nicht eingegangen. Salgado kritisiert diese fehlende Transparenz – zwar werde die Kooperation auf inhaltlicher Ebene sichtbar gemacht, die Form der Vermittlung und die Auseinandersetzungen über die Art und Weise der Zusammenarbeit seien aber nicht explizit dargestellt. Nicht zuletzt aufgrund dieses unbenannten Verhältnisses komme den MigrantInnen eine klassische Funktion im dokumentarischen Feld zu: "In City Views funktionieren die MigrantInnen als Quelle von Authentizität; im Austausch mit dem Künstler erarbeiten sie Sichtweisen und Aussagen, die in ihrer Beziehung zur Realität in Hinblick auf Migration, Rassismus und Widerstand als Dokument fungieren." Trotz dieser Kritikpunkte erweist sich ein Austausch zwischen den verschiedenen (und verschieden privilegierten) Positionen, wie er von Martin Krenn betont und in "City Views" erfahrbar wird, als möglich.


erschienen in: bild.punkt Oktober/November 2004