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06 2007

Bei Nichteinhalten der Regel …

Bio-Art, Sicherheit und Markt

Tiziana Terranova

Übersetzt von Thomas Waibel

„Wie viele Delikte sollen erlaubt werden? Zweitens, wie viele Delinquenten
sollen straflos bleiben? Das ist die Frage der Strafbarkeit.“
(Foucault 2006b, S. 355)

 
Von welcher Art ist der ‚Unfall’ – und die Abfolge von Ereignissen, die er in Bewegung setzt – der Steve Kurtz am 11. Mai 2004 zugestoßen ist? Ein schrecklicher Vorfall, sicherlich der Ausgangspunkt einer surrealen Serie von Ereignissen. Der plötzliche, verfrühte Tod von Hope Kurtz – Steves Frau und Mitglied des Kollektivs Critical Art Ensemble (CAE); ein paranoides Notfallteam, das vom Krieg gegen den Terrorismus derart auf Anzeichen von virtueller Bedrohung sensibilisiert war, dass es dem FBI die Anwesenheit von harmlosen Bakterienkulturen meldete, die sie in der Wohnung flüchtig gesehen hatten; die Begegnung mit dem Sicherheitsapparat; der lange und noch andauernde Weg durch die Gerichtsverfahren; der ‚Zirkus strafrechtlicher Verfolgung’ - nachdem sich das in seinem Haus gefundene biologische Material als harmlos herausgestellt hatte, wurde die Anklage, die gegen ihn und Robert Ferrell (der Akademiker, der ihn unterstützte) erhoben wurde, von Bioterrorismus zu einem Verstoß gegen das Handelsrecht abgeändert.[1]

Wie Anna Munster in ihrer kritischen Darstellung des Falls zeigt, sollte man aufpassen, nicht die problematische Eigenart eines solchen Vorfalls zu übersehen, der nicht einfach ein weiterer Fall eines Künstlers ist, der aufgrund der Besonderheit seiner künstlerischen Arbeit vor Gericht steht. Zunächst ist es von Bedeutung, dass die Strafverfolgung von Kurtz nicht das Ergebnis eines vorsätzlichen Verfahrens gewesen ist, in dem ein Künstler wegen des moralisch subversiven Gehalts seiner Arbeit angegriffen wird. Munster argumentiert, dass es ein schwerwiegender Interpretationsfehler ist, diesen Fall als eine einfache Rückkehr der McCarthy’schen Zensurtaktiken im Zusammenhang von 9/11 zu bewerten. Die Genealogie des Falls, die Reihe, an der er Anteil hat, ist nicht die einer ideologischen Kriegsführung, die ihrer Meinung nach die lange Geschichte von Zensur gegen Künstler bestimmt und in der der McCarthyismus ein Moment war. Es ist keine Kampagne und kein Komplott eingefädelt worden, um die CAE zu ‚kriegen’, um sie für ihren jahrelangen radikalen Aktivismus auf dem Feld der neuen Technologien und der Kunst zu bestrafen (auch wenn in den Gerichten, die über sie richteten, ganz bestimmt keine Sympathie für die ‚Linken’ vorhanden war). Es ist auch nicht der ausdrückliche Versuch gewesen, ein Kunstwerk zu zensurieren, das etwa multinationalen Unternehmen, die mit genetisch veränderten Organismen handeln, potenziell großen Schaden hätte zufügen können. Um daran zu erinnern: das Projekt an dem CAE arbeitete, beinhaltete eine ‚Heim-DNA-Extraktionsmaschine’ als Teil der Ausstellung „Gratis Getreide Angebot.“* Die transportable Maschine konnte dazu benutzt werden, Lebensmittel, die vom Publikum mitgebracht worden waren, auf die Anwesenheit von genetischen Veränderungen zu untersuchen. (Babin 2005) Dennoch ist Kurtz nicht von einer der reichen Bio-Tech-Firmen verklagt worden, die er mit seiner Arbeit angegriffen hat. Seine frühere und jetzige Tätigkeit als radikaler Künstler hatte auf diesen Fall erst nach dem unvorhergesehenen Ereignis, das die polizeilichen und gerichtlichen Verfahren ausgelöst hat, eine Auswirkung. Er ist vom FBI nicht wegen seiner Geschichte politischer Praxis ins Visier genommen worden, sondern „zufällig Teil einer diffusen und angepassten Kontrolllogik ... einer biopolitischen Logik geworden.“ (Munster 2005).

Wie Munster betont, ist es die Zufälligkeit des Steve Kurtz zugestoßenen Ereignisses, die es zu einer anderen Reihe zugehörig markiert als derjenigen einer ideologischen Kunstzensur; nämlich zu den Reihen einer sich nach der 9/11-Konjunktur für mehrere westliche Nationen bietenden ‚Gelegenheit’ MigrantInnen einzufangen, die zumeist aus dem mittleren Osten, aus Indien und Pakistan kommen. Kurtz’ Fall teilt mit diesen Verhaftungen die Wahllosigkeit des Vorfalls, der dazu geführt hat, ihn zu beschuldigen und zu verfolgen, und die Leichtigkeit, mit der die ursprünglichen Anklagen formuliert und umgeändert wurden.[2] Für Munster ist die Kontrolllogik, die die unterschiedlichen Fälle verbindet, biopolitisch. Sie ist biopolitisch nicht nur auf der Ebene der Beweismittel, durch die die Verhaftung ausgelöst wurde (die potenzielle Bedrohung der Bio-Art), sondern auch durch die Form, in der der Sicherheitsapparat begonnen hat, Anspruch auf Vorhersagemodelle zu erheben, die der Biologie entlehnt sind.

Die zufällige Festnahme von Kurtz könnte möglicherweise sein Auftauchen in den neuen Datenbankprogrammen veranlasst haben, die vom FBI nach 9/11 verwendet werden und die explizit Algorithmen benutzen, die von der Netzwerktheorie entwickelt und von der Biologie angepasst worden sind. Die durch verschiedene Institutionen und Quellen gesammelten Daten werden dabei als maßstabsloses Netzwerk modelliert und visualisiert. Diese Entwicklung führt in einiger Zeit unvermeidlich zur Herausbildung von mächtigen Netzknotenpunkten, die später in einem Netzwerkkrieg zum Ziel werden können (im Unterschied zu einem verteilten Netzwerk kann ein dezentrales Netzwerk durch das Abschalten seiner Knotenpunkte ernsthaft beschädigt werden). In diesen Modellen fängt die Information die Entwicklung von rückbezüglichen Ereignissen ein, durch Verweis und Verbindung mit den „morphogenen Formen von Wachstum, Entwicklung und Zerfall“ in virtuellen, d.h. instabilen Beziehungsnetzwerken (Munster 2005). Der Name Kurtz könnte im Netzwerk des Bioterrorismus zunächst als einzelner Knotenpunkt ohne andere virtuelle Verbindungen mit potenziellen Bioterrornetzwerken aufgetaucht sein. Dann aber könnte sein Name möglicherweise erneut in anderen Netzwerken sichtbar geworden sein, in denen Steve Kurtz definitiv einen dichten Knotenpunkt darstellt – in einem Netzwerk, das Verhaltensabweichungen anzeigt, etwa gegen den Markt gerichtete Aktivitäten, auf die durch seine politische Tätigkeit und seine Verbindung mit dem Critical Art Ensemble hingewiesen wird. Das virtuelle Beziehungsnetzwerk verändert sich: von einer Sicherheitsgefährdung zu einer Marktbedrohung.

In zwei Vorlesungen am Collège de France von 1977/78 und 1979/80 hat Michel Foucault genau in diesen beiden Mechanismen (Sicherheit und Markt) das Zentrum eines neuen Machtdispositivs gesehen, das eine wachsende Anzahl von neoliberalen TheoretikerInnen und ApologetInnen seit der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg nachdrücklich diskutiert, beschrieben und aktiv aufgebaut hat. Foucault hat die beiden unterschiedlichen deutschen und amerikanischen Schulen, die tatsächlich ‚neoliberal’ genannt werden können, untersucht, um in ihren Schriften die Rahmenbedingungen der politischen Rationalität zu rekonstruieren, die das Entstehen dessen möglich und erklärbar gemacht haben, was er schon früher ‚Biopolitik’ genannt hat (das Aufkommen einer Machttechnologie, die das Leben zum Objekt nimmt). Dadurch hat er gezeigt, dass der Zeitpunkt, an dem das Leben zum neuen Machtobjekt wird, auch der Zeitpunkt der Bestätigung von neuen potenten Machttechnologien ist, auch derjenigen, die von liberalen und neoliberalen politischen Ökonomen beschrieben wurden.

Diese mächtigen Diskurse sind keine ‚Ideologien’, die einen grundlegenden Intensivierungsprozess der ökonomischen Kapitallogik verdecken, der auf Ausbeutung basiert und damit substanziell dem entspricht, was Marx bereits aufgezeigt hat. Im Gegensatz dazu handelt es sich um Diskurse, die sehr nahe an der Ausübung der gegenwärtigen Regierungsgewalt entstehen – das macht sie zu wahrhaft pragmatischen Kenntnissen, die sich auf dem Grat des ‚stummen und blinden’ Kräftespiels befinden, das Nietzsche für Macht gehalten hat. Neoliberalismus ist demnach nicht das ‚Nichts’ (d.h. nichts Neues), für das es manche halten. Wenn nichts anderes, so ist Neoliberalismus definitiv der Ausdruck einer radikalen Veränderung des Liberalismus, der sich im Unterschied zum letzteren insbesondere dafür einsetzt, die Maßnahmen des Staates soviel wie möglich einzuschränken und zurückzuhalten, um auf diese Weise einen ‚Staat unter Marktkontrolle’ zu schaffen. Indem er so verfährt, zerstört er nicht so sehr den Staat, als dass er vielmehr eine neue Regierungskunst erfindet, die einen radikalen Umsturz sowohl der Regeln von Gesetzesbildung und -ausübung herbeiführt, als auch jener der Produktion von Gesellschaftsstruktur.

Beispielsweise kann weder vom Liberalismus noch vom Neoliberalismus gesagt werden, dass sie die ‚Sicherheit’ als solche erfunden haben, aber sie haben bestimmt viel aus dieser ‚dritten Spielart des Rechts’ gemacht, die Foucault für die Ersetzung sowohl der alten Rechtsform hält, die auf dem Paradigma der Souveränität ruht, als auch der modernen disziplinären Variante. Im Unterschied zum Gesetz, das durch das Imaginäre funktioniert (es ‚imaginiert’ sich Verbrechen und Strafe) und im Gegensatz zur Disziplin, die in einem zur Realität komplementären Raum funktioniert (das perfekte Gefängnis ist eine Utopie, in der die von Natur aus geschädigten Individuen durch ein einfaches System von Sichtbarkeit zu gefügigem Verhalten veranlasst werden), erklärt Foucault, dass die Sicherheit durch ein Spiel mit der Realität funktioniert. Das Objekt der Sicherheit ist das Leben einer Bevölkerung – ein Leben, das eine unauflösliche Vielheit von Ereignissen produziert und ihr ausgesetzt ist. Sicherheit zielt nicht darauf ab, das Böse auszulöschen (etwa das Verbrechen), sondern da sie die Natürlichkeit der Phänomene akzeptiert, zielt sie darauf ab zu regieren (die Natürlichkeit des Verbrechens wird als ein Phänomen begriffen, das stattfinden wird, unabhängig davon wie viel gerichtet oder bestraft wird). Diese Natürlichkeit ist nicht durch eine ewige und wesenhafte Unveränderbarkeit der vitalen Phänomene gegeben, sondern durch ihre starke Widerständigkeit gegenüber der Macht – und insbesondere durch ihre störrische und stumme Indifferenz dem souveränen Befehl gegenüber und durch das nicht reduzierbare Element von Unordnung, das sie in die disziplinäre Anordnung stets hineinbringen. Demnach handelt die Sicherheit nicht vom Leben als Objekt, sondern vom Leben als Verkettung von zusammen- und auseinander laufenden Reihen möglicher Wirkungen ohne Ursachen, Verkettungen von Effekten, die passiert sind, passieren aber auch passieren könnten (Massumi 2005). Aus diesen Reihen von ‚verbundenen, diskontinuierlichen, zufälligen und absichtlichen Ereignissen über die Zeit hinweg’ entstehen die maßstabslosen Netzwerke mittels Karten und Diagrammen als neue Repräsentationsform. (Munster 2005)

In bestimmter Weise kann man sagen, dass die Sicherheit jenes Verfahren darstellt, mit dem das bereits im Polizeistaat des 18. Jahrhunderts  gestellte Problem der Ordnung nun einem ausschließlich ökonomischen Kalkül unterworfen wird. Indem der Sicherheitsmechanismus das Phänomen als Diebstahl (oder als Bio-Art) begreift, stellt er es in eine Reihe von mehr oder weniger wahrscheinlichen Auswirkungen, die einer allgegenwärtigen Kostenlogik entsprechend beschrieben werden. Der Sicherheitsmechanismus denkt nicht daran, dass er die fraglichen Verhaltensweisen vollständig auslöschen kann, sondern dass er Maßnahmen ergreifen kann, die diese Verhaltensweisen verteuern und sie dadurch begrenzen. Das Netzwerk greift als produktive Maschine und als prophetisch/präventive Simulation in dieses Kalkül ein. Als Simulation gelingt es ihm, mögliche Strategien der Vorherbestimmung zu gestalten und zu erproben. Als produktives, konkretes Gefüge funktioniert es als unkontrollierbare Vervielfältigung und als Verbreitungsmedium von Wirkungsreihen. Wie viel kostet nicht nur ein Diebstahl, sondern eine Reihe von Diebstählen (ähnlich denen, die die Musikindustrie für einen Diebstahl ihrer Produkte durch den Daten tauschenden Mob hält)? Was sind die Kosten der Bio-Art – sollten sie angesetzt werden, um das Monopol der Bio-Tech-Industrie aktiv zu unterwandern? Was sind die Grenzwerte, die eine Annehmbarkeit von solchen Diebstahlserien oder bio-künstlerischen Projekten bestimmen? Welche Maßnahmen sollen ergriffen, welche Strafen eingeführt und welche Belohnungen für ‚virtuoses’ Verhalten ausgesetzt werden (Anschaffung von urheberrechtsgeschütztem Material, Finanzierung von ‚virtuosen,’ d.h. unkritischen Bio-Art Projekten)? Was sind die Mechanismen oder Verfahren, die natürlicherweise Grenzen um das katastrophale Potenzial ziehen, das diesen Ereignisfolgen innewohnt (Software zum Management digitaler Rechte, Strafverfolgung mit großer Öffentlichkeit)?

Wie uns Munster erinnert, ist Sicherheit noch immer ein biopolitischer Machtmechanismus, und in dem Maß, in dem dessen Objekt das Leben einer Bevölkerung ist, führt er dazu, dass er das an sich mörderische, rassistische Element der Biopolitik in sich aufnimmt – durch das eine Bevölkerung auf der Grundlage von rassisierenden Unterschieden segmentiert und hierarchisiert wird. Da das Leben einer Bevölkerung nicht einfach biologisch ist, hat die Rassisierung nicht nur biologische, sondern in steigendem Maß auch kulturelle Konnotationen. Moderne Rassisierung wird zur Ethnisierung, wenn die menschenmörderische Funktion eingeschränkt wird, die der Rassismus im biopolitischen Dispositiv ausfüllt. (Venn 2007) (Diese Funktion macht die Verhaftung von Steve Kurtz im Vergleich mit den ethnisch motivierten Festnahmen von pakistanischen und südasiatischen MigrantInnen, BürgerInnen des mittleren Ostens, etc. ungewöhnlich). In einem solchen Sicherheitsregime ist die Macht zu töten (und sterben zu lassen) ethnisiert. Es gibt immer die ‚eine’ Bevölkerung, deren Leben mehr wert ist und die gegen die verzerrten fremden Körper verteidigt werden muss, die deren Lebensweise infizieren, verändern oder zerstören könnten. Auf der anderen Seite ist es unmöglich, über Sicherheit nachzudenken, ohne das andere ‚Regulierungsprinzip’ der neoliberalen Regierbarkeit – der Markt. Das Sicherheitskalkül ist biopolitisch und ökonomisch –es scheint tatsächlich, als ob die beiden Elemente nicht wirklich voneinander getrennt werden können.

Einerseits besteht die liberale politische Ökonomie darauf, dass ökonomische Phänomene den vitalen Phänomenen insofern ähnlich sind, als dass beide nicht gelenkt oder diszipliniert werden können. Wenn Adam Smith von der ‚unsichtbaren Hand des Marktes’ sprach, so legt Foucault Wert darauf, dass er die ‚Unsichtbarkeit’ der Hand betont hat. Nicht so sehr das zweckmäßige Wesen des Mechanismus, der dem Markt die Selbstregulierung erlaubt, sondern die radikale Dunkelheit der Gründe für die ökonomischen Prozesse, deren Dynamik die Vorstellung und Macht der Gesetzgeber und institutionellen Personen überschreitet. Foucault argumentiert, dass für Adam Smith und die Liberalen der Markt noch immer ein natürlicher Ort war. Das ist etwas, das die Neoliberalen stark beanstanden werden.

Liberale PolitökonomInnen werden von den Neoliberalen dafür kritisiert, nicht verstanden zu haben, dass man die Marktdynamik in Wahrheit nicht von den Naturgesetzen ableiten kann, denn der Markt ist etwas anderes als die Naturgesetze. Er ist ein eidos, eine Husserl’sche Idee, ein perfekter, aber fragiler Mechanismus, der nicht spontan entsteht, solange die geeigneten Bedingungen für seine Entstehung nicht gegeben sind. Der Markt ist ein formales Spiel oder ein Mechanismus, den die Neoliberalen entdeckt zu haben behaupten, und dessen Schlüsseldispositiv ist nicht so sehr der Austausch als vielmehr der Wettbewerb. Wettbewerb ist für die Neoliberalen …

„kein Naturphänomen. Er ist nicht das Ergebnis eines natürlichen Spiels des Verlangens, der Instinkte, des Verhaltens usw. In Wirklichkeit verdankt der Wettbewerb seine Wirkungen nur seinem Wesen... Der Wettbewerb ist ein Wesen, er ist ein eidos. Der Wettbewerb ist ein Prinzip der Abstraktion. Der Wettbewerb hat eine innere Logik, er hat seine eigene Struktur... Es handelt sich gewissermaßen um ein formales Spiel zwischen Ungleichheiten, und nicht um ein natürliches Spiel zwischen Individuen und Verhaltensweisen. Da genau wie für Husserl eine formale Struktur sich nicht ohne eine Reihe von Bedingungen in der Anschauung darstellt, so erscheint und bringt der Wettbewerb seine Wirkungen als wesentliche Logik der Wirtschaft nur unter einer Reihe von Bedingungen hervor, die sorgfältig und künstlich hergestellt werden müssen.“ (Foucault 2006b, S. 172f.)

Die Einführung der Wettbewerbsprinzipien in die Austauschmechanismen garantiert den automatischen Ablauf einer libidinalen Ökonomie von Gewinnen und Verlusten, Belohnungen und Strafen, die wie ein immanentes telos den gesamten Prozess zu unendlichem Wachstum drängt. Wettbewerb ist endgültig meta-stabil, denn er löst all seine Spannungen durch Wachstum – er zerrt sie zur nächsten Grenze – und er erlaubt keinem System, sich zu sehr zu strukturieren, wenn es nicht sensibel genug ist gegenüber der immanenten Zerbrechlichkeit der Ereignisketten, denen es ausgesetzt wird. Neoliberaler Wettbewerb ist demnach nicht der Hobbes’sche Krieg aller gegen alle, denn er funktioniert nicht in einer Malthus’schen Ökonomie von beschränkten Ressourcen, sondern in der offenen Dauer von unbegrenztem Wachstum. Wettbewerb verhindert Stagnation, entfesselt Produktivität und ermöglicht jene Lösung, die neoliberale Politik allem sozialen Unbehagen anbietet: endloses Wirtschaftswachstum, stabilisiert durch eine Politik von geringer Inflation, niedriger Arbeitslosigkeit, Marktorientierung** des öffentlichen Sektors und Sicherheitsorientierung. Es handelt sich dabei nicht um eine Marktwirtschaft des laissez faire, sondern bedingt die aktive Politik ‚einer Wachsamkeit, einer Aktivität, einer permanenten Intervention’ (Foucault 2006b, S. 188). Meta-Stabilität und Wachstum des Marktes werden durch Wettbewerb und Sicherheit garantiert.

Foucault versteht diese neue Rationalität (und den Mechanismus, der sie festlegt) als konstitutiv für eine neue Aushöhlung, eine neue Art von Mensch: homo oeconomicus, auf dessen individuellem Benehmen und rationalem Verhalten die Vorgangsweise von Sicherheit und Wettbewerb beruht.

Die Errichtung der Wettbewerbsmechanismen als bestimmende Prinzipien von wirtschaftlichem Wachstum bringt einen Zerfall und Wiederaufbau der Sozialstruktur mit sich – der nun eine neue Einheit entspricht: homo oeconomicus, das Unternehmens- oder Geschäftsubjekt. Damit der Markt als Regulierungsprinzip der Gesellschaft funktionieren kann, muss die gesamte Sozialstruktur in eine unbegrenzte Anzahl von Geschäften zerlegt werden – dadurch können die Geschäfte, wie Foucault sagt, zur Seele der Gesellschaft werden. Dieser Zerfall der Gesellschaftsstruktur in eine Vielzahl von Unternehmenseinheiten unterschiedlicher Ausdehnung und Größe ermöglicht die parallele Produktion von Kooperation zwischen den Geschäften in der allgegenwärtigen Wettbewerbswirtschaft. Auf diese Weise antworten die neoliberalen ÖkonomInnen auf Marx’ Kritik vom Widerspruch, der durch die Ausbeutung der lebendigen Arbeit in den ökonomischen Prozess eingebracht wird. Der neoliberale Markt kennt keine ausgebeuteten ArbeiterInnen mehr – nur kleine Geschäftsmänner und -frauen, die manchmal einen rauen Handel haben. Alle Arbeit/Kapital-Verhältnisse werden von kooperativen Beziehungen innerhalb der allumfassenden Abstraktion des Wettbewerbs gelöst. „... das Unternehmen jedoch verbreitet ständig eine unhintergehbare Rivalität als heilsamen Wetteifer und ausgezeichnete Motivation, die die Individuen zueinander in Gegensatz bringt, jedes von ihnen durchläuft und in sich selbst spaltet.“ (Deleuze 1993, S. 257). Die, die einmal ‚ArbeiterInnen’ genannt worden sind, verkaufen nicht so sehr ihre Arbeit, als dass sie vielmehr Einkünfte aus dem Kapital beziehen, das sie in sich selbst investiert haben, und sie bilden zeitlich begrenzte, kooperative und assoziative Netzwerke mit anderen Geschäftsleuten, die bewirken können, dass dieses Kapital wächst. Geschäftsmäßig wird er akzeptieren, dass die Grenze überquert zu haben, um im Westen zu arbeiten, bedeutet, dass er das gesamte durch seine Ausbildung zuhause akkumulierte kulturelle Kapital verliert im Austausch mit einem anderen Gewinn (Freiheit), und dass er den früheren Beruf als Doktor gegen eine neue Karriere als Taxifahrer eintauscht. Geschäftsmäßig wird sie natürlich akzeptieren, dass die Investition in ein Kind es hinsichtlich der affektiven und emotionalen Gewinne, die es bringt und möglicherweise noch bringen wird, wert ist, den Job zu verlieren. Wiederum als Geschäftsmann wird er akzeptieren, dass über 50 und arbeitslos zu sein bedeutet, dass sein persönliches Kapital dramatisch abgenommen hat, und er wird nicht erwarten, ebensoviel zu verdienen wie in seinen besten Jahren. Als gute Geschäftsleute werden sie tun, was Geschäftsleute tun: Versicherungen kaufen, sich mit ihren Rivalen messen und darüber nachdenken, wo sie besser in das endlos zu- und abnehmende Kapital investieren, das sie selbst sind. Interessanterweise zitiert Foucault solche Humankapitaltheoretiker wie Gary S. Becker, um zu zeigen, warum ein homo oeconomicus definitionsgemäß rational ist, wobei rational sein bedeutet, sich realistisch, d.h. nicht zufällig, sondern systematisch zu verhalten. Ökonomische Analyse beruht demnach auf der Forderung nach einem ‚realistischen Verhalten’ (oder guten Verhalten) des Individuums.

„Die ökonomische Analyse kann im Grunde bestimmt ihre Ankerpunkte und ihre Wirksamkeit finden, wenn das Verhalten eines Individuums nur der Zusatzbedingung entspricht, dass die Reaktion dieses Verhaltens in Bezug auf die Wirklichkeit nicht zufällig ist. Das bedeutet: Jedes Verhalten, das auf systematische Weise den Veränderungen in den Variablen der Umgebung entspricht, soll der Zuständigkeit einer ökonomische Analyse unterliegen können, mit anderen Worten, jedes Verhalten, wie Becker sagt, ‚das die Wirklichkeit akzeptiert.’ Der Homo oeconomicus ist der Mensch, der die Wirklichkeit akzeptiert. Das rationale Verhalten ist jedes Verhalten, das sensibel auf Veränderungen in den Umweltvariablen reagiert und das auf  eine nicht-zufällige, also systematische Weise darauf reagiert. Die Ökonomie kann also als die Wissenschaft der Systematizität von Reaktionen auf die Variablen der Umgebung charakterisiert werden.“ (Foucault 2006b, S. 370)

In bestimmter Weise leitet sich demnach die Radikalität vom Vorstoß des CAE in die Bio-Art sowohl aus der durch die gegenwärtigen Kunstwerke geschaffenen Situation ab, in der ein Laie begreifen kann, dass auch er/sie in der Lage ist, Wissenschaft zu ‚machen’, als auch aus der Weigerung, ‚gute’ Bio-Art zu betreiben. Bio-Art, die sich gut benimmt, fördert den sozialen Zusammenhalt (dieses Gegengift zu den kalten und zersetzenden sozialen Wirkungen des Wettbewerbs) oder sie schafft vermarktbare Werte; sie versucht nicht, in den Markt einzugreifen oder – schlimmer noch – ihn zu untergraben. Die Bio-Art von CAE ist daran gescheitert, die Regeln des guten Verhaltens zu erfüllen und hat daher einen Mehrwert an Bestrafung durch den Justizapparat auf sich gezogen. Mit den eigenen Interessen im Kopf und dem eigenen Kapital im Herzen innerhalb der von der Sicherheit gezogenen Grenzen zu handeln, das macht virtuos in neoliberalen Zeiten, in denen rationales/realistisches Verhalten ein Verhalten ist, das mit den Marktregeln übereinstimmt. Jede Nichteinhaltung der Regel wird aus dir eine virtuelle Bedrohung machen.

 

Bibliographie

Babin, Chris (2005) “Bioarts, Bioterror and the CAE: Resurgences in Authoritarianism and Molecular Creativity” College Quarterly Spring 2005 - Volume 8 Number 2 (http://www.senecac.on.ca/quarterly/2005-vol08-num02-spring/babin.html).

Deleuze, Gilles (1993) Unterhandlungen. 1972-1990, Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Foucault, Michel (2006) Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France 1977/1978, Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Foucault, Michel (2006b) Geschichte der Gouvernementalität II. Die Geburt der Biopolitik, Vorlesung am Collège de France 1978/79, Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Massumi, Brian (2005) “The Future Birth of the Affective Fact” in Conference Proceedings : Genealogies of Biopolitics (www.radicalempiricism.org/biotextes/textes/massumi.pdf).

Munster, Anna (2005) “Why is bioart not terrorism?: Some critical nodes in the networks of informatic life” in Culture Machine 7 (2005). Special issue Biopolitics /edited by Melinda Cooper, Andrew Goffey and Anna Munster  http://culturemachine.tees.ac.uk/Cmach/Backissues/j007/Articles/munster.htm.

Venn, Couze (2007) “Cultural Theory, Biopolitics and the Question of Power” in Theory, Culture and Society, vol. 24(3): 111-124. London, Los Angeles, New Delhi and Singapore: SAGE.


[1] Zum Zeitpunkt der Niederschrift ist der Rechtsfall noch offen und das Gerichtsverfahren wird im Sommer 2008 oder früher erwartet. Die Website der Stiftung zur Verteidigung des Critical Art Ensemble (http://www.caedefensefund.org/) bietet brauchbare und aktualisierte Informationen zum Fall und sammelt auch Spenden für die Prozesskosten.

* Der Ausstellungstitel im Original: ‚Free Range Grain’ (Anm. d. Übers.)

[2] Zur Beziehung zwischen dem Fall Kurtz und anderen Justizfällen gegen angeblich terroristische Aktivitäten, die zu einer Anzahl von gesetzeswidrigen Verhaftungen von muslimischen BürgerInnen und anderen politischen und kulturellen DissidentInnen unter dem Patriot Act geführt haben, siehe auch: Claire Pentecost, „Reflections on the Case by the U.S. Justice Department against Steven Kurtz and Robert Ferrell“, 6. April 2005 (http://www.caedefensefund.org/reflections.hmtl)

** Im Original ‚marketization’: auch als ‚Marktwerdung’ lesbar; analoges gilt für die Wortschöpfung ‚securitization’. (Anm. d. Übers.)